Kampf gegen Bildungsarmut

Soziologen und Wirtschaftsberater Hand in Hand: Wolf Lepenies fordert Bildungssozialbericht. McKinsey-Chef Kluge will Förderung in Kindergärten

BERLIN taz ■ Der Soziologe Wolf Lepenies hat die künftige Bundesregierung aufgefordert, entschieden der Bildungsarmut entgegenzutreten. Es sei ein unannehmbarer Skandal, dass in der Bundesrepublik zehn Prozent der Schüler unterhalb des „Bildungsexistenzminimums leben müssen.“

Lepenies, der an der Freien Universität Berlin und am Collège de France in Paris lehrt, machte den Vorschlag, ein Rat von unabhängigen Bildungsweisen solle künftig die für ein Industrieland dramatische Situation überwachen. Er warnte beim Bildungskongress der Beratungsgesellschaft McKinsey davor, den von ihm geforderten „Bildungssozialbericht“ von Ministerialbeamten erstellen zu lassen. Es sei eine schonungslose Kritik an den sozialen und Bildungsverhältnissen der Republik nötig. Diese könne nur von unabhängigen Sachverständigen geleistet werden – vergleichbar zu den Wirtschaftsweisen, die alljährlich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung begutachten.

Die internationale Schulstudie Pisa und zuletzt der „Datenreport 2002“ des Statistischen Bundesamtes untermauern die skeptische Einschätzung. Danach besuchen 62 Prozent der Beamtenkinder und die Hälfte der Kinder von Angestellten die gymnasiale Oberstufe – aber nur 24 Prozent des Nachwuchses aus niedrigen sozialen Herkunftsgruppen. Der 61-jährige Lepenies nannte das Abschneiden Deutschlands bei Pisa eine „Bildungsblamage“, bezeichnete das innergesellschaftliche Problem aber als das eigentliche Skandalon. Die Politik verniedliche die Bildungsarmut durch Begriffe wie „bildungsferne Schichten“. Die von der Verfassung geforderte Chancengleichheit, so Lepenies, sei nicht eingelöst.

Überraschend sprang Jürgen Kluge, der Chef von McKinsey Deutschland, dem Soziologen bei. „Das deutsche Bildungswesen ist ein Sanierungsfall“, sagte er – und forderte die konsequente Förderung der kleinsten und schwächsten Lerner. Dazu müssten 2,2 Milliarden Euro in Kindergärten investiert werden, um an international übliche Bildungsstandards heranzukommen. Kluge schlug vor, für die Beratung sozial schwacher Familien so genannte „Early Excellence Centers“ einzurichten.

CHRISTIAN FÜLLER