Individuelle Masse

Sasha Waltz hat mit „noBody“ auf Kampnagel der Ensemblechoreographie zu neuer Form verholfen

Der Sound ist niederschmetternd, als würden im Schauspielhaus drei Düsenjets gleichzeitig starten. Der Tanz dagegen fliegt dahin, ist schwebend leicht und dennoch geballte Energie. Sasha Waltz erzählt in noBody vom Weggehen und Zurückbleiben, versucht den Zustand zu greifen, die Angst, die Atemlosigkeit, wenn der Mensch seine physische Hülle verlässt.

Weder Schmerzenspathos noch symbolhafte Gesten braucht sie für ihre Bilder, die an das Bewusstsein unserer Sterblichkeit rühren. Allein eine große Gruppe von 25 TänzerInnen ermöglicht es der Berliner Choreographin, diese transzendenten Kräfte freizusetzen. Ein großartiges Ensemblestück hat Sasha Waltz hier geschaffen. Und wenn ein weißer Sack vom Bühnenhimmel fällt, sich aufbläst, die Tänzer überrollt, sie aufsaugt und eine von ihnen in die Lüfte trägt, weiß man, warum das abschließende Laokoon-Gastspiel nicht auf Kampnagel stattfinden konnte, sondern ins Schauspielhaus ausweichen musste.

Verblüffend an dieser Choreographie, dass die Auflösung des Körperlichen, und damit des einzelnen Individuums in der Menge, sehr plastisch wirkt. Dabei will die Choreographin das Verhältnis von Einzelnem und Masse zwar nicht politisch verstanden wissen. Es spricht für ihre Arbeit, dass dem doch so ist. Denn noch nie hat man eine so verbundene und dabei ungebändigte Masse gesehen. Die Individualität der Tänzer ist in den immer wieder neuen Formationen nicht aufgehoben. Halsbrecherische Schleuderfiguren sind darunter, die deutlich machen, wie gut aufeinander eingespielt diese Tänzer sind. Sasha Waltz hat eine hochmoderne Form und Sprache gefunden auf dem nicht unbelasteten, lange Zeit erstarrten Gebiet der Ensemble- oder eben Massenchoreographie.

So waren es am Ende die Stars des deutschen Tanztheaters, Pina Bausch und Sasha Waltz, die beim Laokoon-Festival die größten Publikumserfolge verzeichnen konnten. Vor dem Hintergrund des Mottos „Geschichte und Gedächtnis im Zeitalter der Globalisierung“ hatte Festivalleiter Hidenaga Otori internationale Gastspiele nach Hamburg geholt: eine exemplarische Bestandsaufnahme künstlerischer Auseinandersetzung mit der Tradition. Spannende, doch recht solitäre Ereignisse waren es in diesem Jahr. Es bleibt abzuwarten, wie Otori 2003 daran anknüpfen wird. Marga Wolff