Die FDP bleibt voll auf Linie

Jubelparteitag der Liberalen: Gut platziert, lange geplant, Rollenspiele zuverlässig eingehalten. Selbst Möllemann bricht wieder mal ein Tabu. Sagt er

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Guido Westerwelle hat es geschafft: Zwar durfte er gestern nicht am TV-Duell der Kanzlerkandidaten teilnehmen, aber er sendete trotzdem auf allen Kanälen – und zwar schon vor der Bildschirmdebatte, die erst auf 20.30 Uhr angesetzt war. Erneut konnten die Fernsehzuschauer das liberale Selbstbewusstsein bestaunen, das diesmal auf einem FDP-Sonderparteitag in Berlin ausgestellt wurde. Die Botschaften lauteten wie gehabt: Keine Koalitionsaussage, liberale 18 Prozent sind zu schaffen, man hat einen „eigenen Kanzlerkandidaten auf Augenhöhe“.

Wenn sich Westerwelle nicht selbst feierte, dann spottete er über das „Feuerwerk von Geistesblitzen“ seiner Kanzlerkandidatenkonkurrenz. Mit ihm wäre es bei den TV-Duellen „frischer“ zugegangen – „davon können Sie ausgehen“.

Der dreistündige Sonderparteitag wirkte, als wäre er eigens einberufen worden, um eine Plattform für den selbst ernannten Kanzlerkandidaten zu schaffen, weil ihm die Fernsehsender diesen Ehrentitel verweigern. Doch tatsächlich war es purer, glücklicher Zufall – und zeigt, paradox, wie planbar Politik ist.

Schon im Februar stand für die FDP fest, dass sie am 8. September 662 Delegierte nach Berlin rufen würde, als „fünfte und letzte Phase“ ihres Wahlkampfes. Damals schon war bekannt, was gestern auf der Tagesordnung stand: die Bedingungen für eine Koalition (siehe Kasten). Und schon im Winter war klar: „Keine Koalitionsfestlegung“. Und ebenso deutlich wurde eine Ampelkoalition ausgeschlossen.

Aber manche Botschaften sind offenbar so interessant, dass man sie ein halbes Jahr gefahrlos wiederholen kann. Und falls das Publikum einzuschlafen droht, dann lässt sich der Spannung ja ein wenig nachhelfen. Nicht ganz zufällig äußerte sich das liberale Spitzenpersonal ausgerechnet vor dem Sonderparteitag durchaus unterschiedlich zur ewigen Koalitionsfrage. Während FDP-Vize Walter Döring eher die CDU als Partner zu favorisieren schien, sprach sich sein Vize-Kollege Jürgen Möllemann für die SPD aus. Dies schien durchaus ins Kalkül zu passen: Schließlich hofft Möllemann schon seit Monaten, dass die rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen zusammenbrechen und durch ein rot-gelbes Bündnis ersetzt werden könnte.

Doch kaum waren die Zuschauer interessiert, wurde die Inszenierung des parteiinternen Streits schon wieder eingestellt. Selbst Möllemann hielt sich an seine ungeliebte Rolle des innenpolitischen Sprechers, die ihm Westerwelle vor einem Jahr aufgezwungen hat. Der mächtige Parteistörenfried, so damals das durchsichtige Kalkül, sollte an zwei profilierten Konkurrenten scheitern: am bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) und an Bundesinnenminister Otto Schily (SPD).

Doch gestern entzog sich Möllemann dieser Falle: Er redete zwar über das vorgegebene Thema „Mehr Sicherheit“ – interpretierte es aber unerwartet. Er wich der Konkurrenz mit den bundesdeutschen Sicherheitsgrößen aus und gab sich ganz als Liberaler: Er wolle die „drei Sheriffs Beckstein, Schily und Schill nicht rechts überholen, denn rechts ist nur die Wand“.

Stattdessen kam Möllemann schnell zu seinem Lieblingsthema: „Mehr Sicherheit“, das sei auch die Sicherheit in der Gesundheitsvorsorge. Und er verlangte, dass sich die Arbeitnehmer noch stärker an den Kosten beteiligen. Das fordern auch andere, aber Möllemann wäre nicht Möllemann, wenn er seine eigenen Worte nicht stets mit der Beschreibung „Klartext“ und „Tabubruch“ begleiten würde. So hatte er auch schon seine Ausfälle gegen Michel Friedman beschrieben. Umstandslos kann Möllemann seinen Habitus transponieren. Ob Aussagen zu Kassendefiziten oder zu Juden in Deutschland – Hauptsache, die Protestfraktion fühlt sich bedient.

Möllemann ließ sich nicht zufällig zum Thema Krankenkassen aus, hat er sich doch als Gesundheitsminister ins Spiel gebracht. Ein möglicher Koalitionspartner, der echte Kanzlerkandidat Stoiber, deutete allerdings an, dass er ihn nicht im Kabinett wünscht. Diplomatisch gewendet hieß es: „Ich glaube nicht, dass die FDP das anbieten wird.“

Vielleicht schafft Westerwelle es also auch, demnächst sein wichtiges Duell zu gewinnen: indem der Koalitionspartner für ihn den Machtkampf mit Möllemann entscheidet.