High Noon in Wien

Jörg Haider diktiert Österreichs Vizekanzlerin Riess-Passer politische Leitlinien. Verteidigungsminister schlägt sich auf die Seite Haiders

WIEN taz ■ Susanne Riess-Passer, Österreichs Vizekanzlerin und FPÖ-Parteichefin von Jörg Haiders Gnaden hat die Gunst ihres Gönners endgültig verloren. Seit Wochen schwelt der innerparteiliche Konflikt zwischen dem Kärntner Landesobmann Haider und der FPÖ-Regierungsriege in Wien. Haider machte Front gegen die von der ÖVP-FPÖ-Koalition angesichts der auf das Land zukommenden Folgekosten des Hochwassers abgelehnte Steuerreform. Riess-Passer hielt mit Rückendeckung von Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) dagegen. Daraufhin forderte die Haider-treue Basis sogar einen Sonderparteitag mit dem Ziel der Ablösung von Riess-Passer. Gestern legte Haider ihr ein „Kompromisspapier“ vor, das in Wahrheit ein Diktat ist. Beschlossen wurde es am Samstag von 400 FPÖ-Delegierten im steirischen Knittelfeld. Dorthin hatte Haider geladen, um die Basis, die er selbst aufgehetzt hatte, zu besänftigen.

Verteidigungsminister Herbert Scheibner wechselte in das Lager Haiders und tüftelte mit ihm das Papier aus, das die freiheitliche Regierungsmannschaft unter Kuratel stellt. Die Unterschriften, die einen Sonderparteitag begehren, werden demnach nicht zurückgenommen, sondern ausgerechnet von Ewald Stadler, Riess-Passers Intimfeind, treuhändisch verwaltet. Der Sonderparteitag wird bis zum Neujahrstreffen aufgeschoben. Bis dahin soll eine parteiinterne Kommission prüfen, wie Mitte 2003 doch noch die verlangte Steuererleichterung finanziert werden kann.

Der FPÖ-Position zur EU-Osterweiterung nimmt sich eine weitere Kommission an. Denn die Vizekanzlerin war unter dem Druck von Koalitionspartner ÖVP vom bedingungslosen Veto gegen Tschechien wegen AKW-Temelín und Beneš-Dekreten abgerückt. Das ist der Preis, den Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eingefordert hat, um seiner Partnerin im parteiinternen Machtkampf den Rücken zu stärken. Haider selbst, der vor einer Woche erst seinen endgültigen Rückzug aus der Bundespolitik verkündet hatte, will seinen Platz im Koalitionsausschuss wieder einnehmen und wohl im nächsten Schritt den Parteivorsitz wieder übernehmen.

Gerüchteweise wurde bei der ÖVP schon vor Tagen angefragt, wie sie zu einem Vizekanzler Herbert Scheibner stehen würde. Egal ob Riess-Passer gleich das Handtuch wirft oder die unannehmbaren Bedingungen noch einmal annimmt: Die Wendekoalition wird über kurz oder lang platzen, sind sich die meisten politischen Kommentatoren sicher.

RALF LEONHARD