Natur reguliert selbst

Sauerstoffmangel in der Ostsee, Seehundesterben in der Nordsee: Kein Grund zur Panik im Stehaufmännchen-System, finden Wissenschaftler

von ANKE HÜSIG

An den deutschen Küsten wächst der Kummer mit der Umwelt: Seehunde, Fische und Wattwürmer sterben, und dem Wasser geht der Sauerstoff aus. Das seit Wochen grassierende Staupe-Virus hat bislang allein in Deutschland fast 2000 Seehunde getötet, davon über ein Drittel vor der Küste Schleswig-Holsteins. Im Wattenmeer wurden bis gestern 563 Kadaver geborgen, weitere 167 vor Helgoland. Zugleich sinkt in der Ostsee der Sauerstoffgehalt, Fische und Bodentiere verenden oder flüchten.

Das Ausmaß scheint bedrohlich. Doch der Meeres-Wissenschaftler Horst Gaul vom Hamburger Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) gibt Entwarnung. „Gar nichts machen, die Natur reguliert sich selbst“, rät er. Aus Gauls Sicht kommen mehrere Probleme zusammen, die nur zum Teil miteinander zu tun haben.

Zum einen das Seehundstaupe-Virus, zum anderen der ungewöhnlich hohe Sauerstoffmangel. Der gilt als Folge von Algenwachstum, welches wiederum durch ruhiges Sommerwetter und Einspülung von Nährstoffen begünstigt wurde. Die dänischen Meeresgewässer zwischen Nord- und Ostsee sind deswegen nach Angaben des dänischen Umweltforschungsinstituts DMU in Roskilde teilweise bereits fast biologisch tot. Für die deutsche Ostsee warnte denn auch der schleswig-holsteinische Umweltminister Klaus Müller (Grüne) vergangene Woche: „Die ersten Fische sind definitiv abgewandert.“ Am Meeresgrund seien auch tote Tiere gefunden worden.

Vor allem in den Buchten der Ostsee, wo der Wasseraustausch besonders gering sei, hatten Messungen des BSH-Schiffes „Gauss“ nach Angaben von Gaul Ende August Sauerstoffarmut und Bildung von Schwefelwasserstoff festgestellt. Aber auch Werte wie etwa drei Prozent Sauerstoffsättigung in der Mecklenburger und der Lübecker Bucht lägen noch in der natürlichen Schwankungsbreite. „Die Wasserqualität hat sich im Lauf der vergangenen zehn Jahre im Allgemeinen deutlich verbessert“, sagte Gaul. „Was wir jetzt haben, ist ein Rückschlag, der aber nicht so schlimm ist, wie es früher einmal war.“

Nur eine Wetteränderung mit Regen und Sturm könne das natürliche Gleichgewicht wieder herstellen, sagte Gaul. „Sauerstoffreiches Wasser aus der Nordsee durchschichtet dann die Ostsee.“ Das Bodenwasser werde nach oben gedrängt und könne sich mit Sauerstoff sättigen.

„Spätestens im nächsten Frühjahr werden dann alle Lebewesen, die den Mangel nicht überlebt haben, wieder ersetzt“, glaubt Gaul. Fische kämen aus anderen Regionen zurück, Muscheln und Schnecken würden sich wieder ansiedeln. Diese Einschätzung bestätigte auch der Dezernent für Küstengewässer im schleswig-holsteinischen Landesamt für Umwelt und Natur, Joachim Voss. Er bezeichnete die westliche Ostsee als „Stehaufmännchen-System“, das wieder neu besiedelt würde.