Haider schießt Koalition ab

Österreichs Regierung tritt zurück. FPÖ-Minister verlieren Machtkampf in der eigenen Partei. Schüssel kündigt vorgezogene Neuwahlen an. Gute Aussichten für Sozialdemokraten und Grüne

WIEN afp ■ Die österreichische Regierungskoalition aus Rechtspopulisten und Konservativen ist geplatzt. Das Parlament solle bei nächster Gelegenheit aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen möglichst noch im November angesetzt werden, sagte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel am Montag. Er zog damit die Konsequenz aus dem Rücktritt dreier Minister der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei (FPÖ). Die FPÖ hatte sich in einem Richtungsstreit entzweit, der vom Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider für sich entschieden wurde.

Schüssel beendete mit seiner Entscheidung ein Experiment, das Österreich im Jahr 2000 eine monatelange Isolation innerhalb der Europäischen Union eingetragen hatte. Eine Gruppe von drei europäischen Weisen hatte der FPÖ, die wegen zweideutiger Aussagen Haiders zum Nationalsozialismus und ausländerfeindlicher Wahlkämpfe umstritten war, ein Unbedenklichkeitszeugnis ausgestellt.

Unklarheit herrschte am Montag über mögliche Konstellationen nach einer Neuwahl, die am 17. oder 24. November stattfinden könnte. Schüssel forderte die FPÖ-Wähler auf, „einen sozialistischen Bundeskanzler zu verhindern“, indem sie für die ÖVP stimmen. Gegenwärtigen Umfragen zufolge dürfte es eine rot-grüne Mehrheit geben. Dabei können die Grünen derzeit sogar mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen.

Der frühere FPÖ-Vorsitzende Haider hat damit nach zweijährigen Attacken und Zwischenrufen die Regierungskoalition aus FPÖ und ÖVP zu Fall gebracht. Der Kärntner hatte am Wochenende nach einem wochenlangen Zwist mit der Vizekanzlerin und FPÖ-Chefin Susanne Riess-Passer eine Versammlung regierungsfeindlicher Parteitagsdelegierter einberufen. Diese formulierten neue Bedingungen für die Regierungsarbeit, die die Vizekanzlerin nicht akzeptieren wollte und daher zurücktrat. Mit ihr gingen Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Verkehrsminister Mathias Reichhold und der Fraktionsvorsitzende Peter Westenthaler.

Die politische Linie, die Haider und die Delegierten im steirischen Knittelfeld entworfen hatten, war wegen ihrer Europafeindlichkeit auch für Schüssel und seine Volkspartei unannehmbar. ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat hatte schon am Sonntagabend erklärt, die EU-Osterweiterung sei ein „Kernstück“ des Regierungsprogramms. Schüssel forderte am Montag, die FPÖ müsse sich jetzt entscheiden: „Will man regieren oder opponieren?“ Das „typisch österreichische Entweder-und-oder funktioniert nicht“, sagte der Kanzler.

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