Zwei Zimmer, Küche, Terror

Marienstraße 54 – ein Jahr danach: Die Wohnung der Attentäter steht immer noch leer. Nachbarn und potenzielle Nachmieter fürchten vor allem die Medien und dass sie nie zur Ruhe kommen

Ich kann nicht mehr, die ganzen Fragen, das war alles einfach zu viel

von SANDRA WILSDORF

New York Times, Taipeh Times, die spanische El Mundo und das schwedische Aftonbladet: Alle berichten über die Marienstraße 54 in Hamburg-Harburg. Vor einem Jahr, und jetzt schon wieder. Denn zum Jahrestag der Anschläge von New York und Washington begibt die Welt sich auf Spurensuche. Wer das Haus sucht, in dem Mohammed Atta, Marwan Al-Shehhi und Ziad Jarrah ihren Terror vorbereitet haben, der hat es leicht. Jeder in der Gegend hier kennt die Marienstraße und „das Haus“. Ganz ungefragt erzählt eine Frau, die ein paar Straßen weiter wohnt, dass die Wohnung immer noch leer stehe und von „schlechter Stimmung da drüben“.

Tatsächlich sind die Bewohner der Marienstraße nicht gut zu sprechen auf Journalisten und andere Neugierige. Trotz vollgepackter Einkaufsroller ziehen sie sich mit einem „wir wohnen gar nicht hier“ aus der Affäre oder haben „keine Zeit, keine Zeit“. Die Frau, die im zweiten Stock der Marienstraße 54 lebt, sagt: „Ich kann nicht mehr, die ganzen Fragen, das war alles einfach zu viel.“

Seit einem Jahr steht die Wohnung unter ihr leer. Es findet sich niemand, der die 60 Quadratmeter für 413 Euro kalt beziehen will. Trotz Renovierung und nur wenigen hundert Meter zur Technischen Universität Hamburg Harburg. „Die einen passen aus wirtschaftlichen Gründen nicht“, sagt Vermieter Thorsten Albrecht. Und die anderen, „die können nicht damit leben“. Damit, dass vor ihnen Terroristen auf dieselbe Toilette gegangen sind, unter derselben Dusche gestanden haben. Vor allem aber wohl damit, „dass die Presse sie nicht in Frieden lassen würde“, sagt Albrecht, der diese Sorge gut verstehen kann.

Zwei Zimmer, Küche, Bad: Vor der Wohnung liegt noch eine graue Fußmatte, von der Enten und Blumen mit „moin moin“ grüßen. Im Treppenhaus riecht es nach frischer Farbe, der Steinboden ist grauweißschwarzgesprenkelt, die Wände sind beige und weiß, so wie das Haus von außen beige ist, mit weißen Fensterrahmen. Im Garten steht ein Wäscheständer, liegt ein Fußball, jemand hat ein Zelt aufgebaut. An einem Briefkasten ist kein Namenschild. In diesen Kasten hat die Briefträgerin schon lange nichts mehr hineingetan. „Es ist schon bedrückend, so im Nachhinein“, sagt sie. Schließlich habe sie mit den Terrorpiloten immer ein freundliches „Guten Morgen“ ausgetauscht.

„Ich bin ohne mein Dazutun in die erste Reihe gerückt, damit müssen wir klarkommen“, sagt Thorsten Albrecht. So wie die ganze Marienstraße ungefragt berühmt wurde. Es ist eine kleine ruhige, eine ganz normale Wohnstraße. Altbauten stehen neben neuen und mittelalten Häusern. Der Schuster hat sein Schaufenster mit Lebensweisheiten geschmückt: „Stark ist, wer sich selbst beherrscht, reich, wer mit wenigem zufrieden ist.“ Und: „Willst Du im Leben Dich redlich ernähren, musst Du viel flicken und wenig verzehren.“ Eng ist es hier. Auch für die Autos. Einem Autofahrer geht es nicht schnell genug, er schreit den Fahrer des vor ihm fahrenden Wagens an: „Scheiß Kanake.“

Die zwei Männer in der Werkstatt halten es „für eine Lüge, wenn außer den Nachbarn jemand behauptet, er hätte die Attentäter gekannt“. Zu häufig wechselten hier die Mieter, „die Studenten kommen und gehen“, sagt einer. „Hier gibt es Menschen aller Farben und Formen, mit und ohne Mütze, mit und ohne Bart.“ Ähnlich vielfältig seien auch die Kamerateams gewesen, die vor einem Jahr das Viertel belagert hätten und seit einigen Wochen zurück sind.

Deshalb hat Albrecht die Suche nach einem neuen Mieter eingestellt. „Damit machen wir erst weiter, wenn sich der Rummel gelegt hat.“ Wann das sein wird, „dafür sind wir selber der beste Indikator. Wir wissen ja, wie oft unser Telefon in dieser Sache klingelt.“ Momentan sehr oft.