„Um jeden Spinner kümmern?“

Von der Scham über die Rasterfahndung, den Sorgen um die Heimat und der Erinnerung an ein Gespräch mit Mohammed Atta: MuslimInnen und AfghanInnen in Hamburg ein Jahr nach dem 11. September 2001. Eine Bestandsaufnahme

„Muslime sollten sich nicht selbst stigmatisieren“

von HEIKE DIERBACH

Bevor Mustafa Yoldaș das Gespräch beginnt, macht er sein Handy aus. „Damit ich nicht die ganze Zeit Anrufe von Ussama bin Laden bekomme“, lacht er. Aber wirklich lustig ist es nicht, in diesen Zeiten als Moslem in Deutschland zu leben: „Obwohl ich länger in der Bundesrepublik sozialisiert bin als etwa Angela Merkel, muss ich mich für meine Herkunft rechtfertigen“, sagt das Vorstandsmitglied des Rates der islamischen Gemeinschaften in Hamburg (Schura). Das sei auch, aber nicht nur eine Folge des 11. Septembers.

Gleich nach den Anschlägen hatte die Schura um „Toleranz“ gebeten. Dieser Wunsch ging damals auch teilweise in Erfüllung, berichtet Yoldaș. Aber jetzt „ist der Dunst über New York verflogen und viele Journalisten sind zu ihren alten Vorurteilen zurückgekehrt“. So werde etwa bei Artikeln über Fundamentalismus immer wieder die Zentrumsmoschee in St. Georg abgebildet, „obwohl das die offenste aller Moscheen ist“. Die Rasterfahndung schlage in dieselbe Kerbe. Sie ist vor allem deshalb problematisch, weil sie den Einzelnen trifft, erklärt Yoldaș: „Im Islam ist es sehr wichtig, rechtschaffen zu sein. Schon der Verdacht reicht, um den Betroffenen zu beschämen.“ So hat sich gegenüber der Schura kein einziger betroffener Student geoutet.

Aber die Verunsicherung kommt nicht nur von außen: Auch in ihren Gemeinschaften diskutieren MuslimInnen die Ereignisse des 11. September und die Hamburger Verwicklungen. Dabei, berichtet Yoldaș, habe man den Moscheen klargemacht: „Wenn ihr zulasst, dass bei euch radikale Töne gepredigt werden, wird die Schura das nicht mittragen.“ Und „man fragt sich schon, ob man nicht noch aufmerksamer hätte sein sollen“. Denn Yoldaș erinnert sich dunkel, dass er Mitte der neunziger Jahre eine Diskussion mit dem späteren Attentäter Mohammed Atta hatte. „Ich weiß noch, dass ich dachte, der lebt ja gar nicht in dieser Welt.“ Aber soll man sich um jeden Spinner kümmern? Trotzdem: „Vielleicht hätte man doch mehr nachfragen sollen.“ Gleichzeitig sollten sich Muslime aber nicht selbst stigmatisieren, sich den Schuh von der „kollektiven Schuld“ nicht anziehen.

Was für die Moslems im allgemeinen gilt, gilt im Besonderen für die AfghanInnen in Hamburg: Jugendlichen wurde nach dem 11. September ein Werksbesuch bei EADS verweigert, Taxifahrer verloren Fahrgäste, Händler ihre KundInnen. Heute hat das zwar nachgelassen, berichtet Azgarkhil Mangal von der afghanischen Gemeinschaft: „Aber eine Wohnung zu finden, ist immer noch viel schwerer als vorher.“ Trotzdem ist ihre eigene Lage in Hamburg für die Gemeinschaft derzeit gar nicht das Thema – sondern die Entwicklung in Afghanistan.

Im Vorstand der afghanischen Gemeinde ist die ehemalige Elite des Landes versammelt: Professoren, Generäle, Unternehmer und Journalisten. Vor den Fundamentalisten sind sie vor Jahrzehnten geflohen – dieselben hätten heute immer noch Macht und vor allem Waffen, sagt General Abdul Bagi, früher Leiter des Amts für nationale Sicherheit: „Der Westen versäumt jetzt die einmalige Chance zur Demokratisierung in Afghanistan.“ Damit bleibe auch die Gefahr des Terrorismus, sagt Mangal, „denn Fundamentalisten und Terroristen sind wie schwarzer und grüner Tee: Beides ist Tee.“

Die Intellektuellen würden gern beim Wiederaufbau helfen, sagt Dr. Afzali Bashir, früher Leiter der medizinischen Fakultät in Kabul: „Wir sind doch Spezialisten auf unseren Gebieten.“ Aber zur Zeit fehlten die politischen Voraussetzungen für eine Rückkehr – und die ÄrztInnen werden aus den USA eingeflogen.