village voice
: Musik zum 11. 9.: Die Slowdive-Tribut-Compilation von Morr Music verknüpft ätherische, entkörperlichte Electronica mit dem Geist von Indie

Pathos ohne Emotionen

Beim Berliner Label Morr weiß man, wie wichtig es ist, den eigenen Sound mit Geschichtsbewusstsein auszustatten. Das schafft Anschlüsse und lässt vor allem die Form von elektronischer Musik, mit der man sich beschäftigt, weniger als Bruch zu gitarrenbasiertem Pop erscheinen. Bei Morr soll alles fließen, zusammenwachsen, eins werden.

Die erste Morr-Music-Werkschau hieß bezeichnenderweise „Putting the Morr into Morissey“. Sie schuf eine Verbindungslinie zwischen der eigenen corporate identity und der englischsten aller englischen Popbands, den Smiths, denen Morissey als Sänger vorstand. Wurde hier noch das Jetzt mit einer urtypischen Band der Achtziger verlinkt, widmet man sich bei Morrs nun einem Randphänomen der Neunziger: dem Shoegazertum, im speziellen der Dreampopband Slowdive.

Diese wurde Ende der Achtziger gegründet und brachte es bis 1995 auf drei Alben bei Alan McGees legendärem, inzwischen aufgelöstemn Label Creation. Mit den Smiths hat sie gemein, gleichzeitig zu Melancholie und großem Pathos zu neigen. Zu Epigonentum hat sie es in Gitarrenkreisen jedoch nicht gebracht. Wer sich heute noch für einen Wall of Sound aus Gitarren interessiert, bezieht sich lieber auf die geistesverwandten, aber viel radikaleren My Bloody Valentine.

Nun aber machen Thomas Morr und seine Acts Isan, Ulrich Schnauss, Manual, Múm oder Lali Puna klar, welche Bedeutung diese eher vergessene Band in ihrem Leben und für ihre Musik hat. Auf der Doppel-CD „Blue Skied an’ Clear“ werden dementsprechend auf der ersten CD Slowdive-Songs gecovert und auf der zweiten CD zumindest im Geiste von Slowdive agiert. Um die Heldenverehrung komplett zu machen, war ursprünglich geplant, die Platten von Slowdive neu aufzulegen, doch wurden diese nicht freigegeben.

Mit Morr und Slowdive wächst nun explizit etwas zusammen: ätherische, entkörperlichte Electronica aus dem Geiste von Indie. Sämtliche Acts geben sich die größte Mühe, das emotionslose Pathos und den Drang zum Kitsch ihrer geliebten Band zu elektrifizieren. Sie tun sich nicht einmal schwer dabei. Allein: Man wird das Gefühl nicht los, das sich bei den meisten derartiger Tribute-Platten einstellt, das Gefühl, doch die Originale aus dem Plattenschrank ziehen zu müssen, als sich durch diese Ansammlung von Bearbeitungen und Songmutationen zu horchen. Alles flirrt und pluckert, es werden esoterische Bilder ohne Ende gezeichnet, Delfine springen in glitzerndem Wasser, Regenbögen erscheinen hinter taufrischen Wiesen, Herz reimt sich auf Schmerz.

Das ist alles wunderbar, aber irgendwie auch banal. Man taucht ein in dieses Klangmeer, schwimmt und schwimmt, kommt aber nirgendwo anders an als bei einer Schönheit, die auf nichts anderes verweist als auf sich selbst.

ANDREAS HARTMANN

Diverse: „Blue Skied an’ Clear“ (Morr Music)