Die Helfer der Helfer

Seit die Bilder der qualmenden Trümmer von Ground Zero um den Globus gingen, hat die Welt einen neuen Helden: den Feuerwehrmann. Er weiß, was er tut. Er ist stark. Er rettet. Und nachts kann er – nicht nur in New York – vor Alpträumen nicht schlafen. In Berlin hilft das Einsatznachsorgeteam

Gefühle werden verdrängt: „Die wollen einfach nur starke Helfer sein.“

von ANETT KELLER

Ausrücken zum Einsatz, löschen, retten, bergen, zurück in die Zentrale – und danach? Nach Hause. Allein mit all den Bildern im Kopf. Vielleicht die eines schrecklichen Anschlages. So war es früher. Inzwischen gibt es das Einsatznachsorgeteam (ENT). Fünfzehn speziell geschulte Feuerwehrleute und fünf sozialpädagogische Fachkräfte stehen rund um die Uhr in Bereitschaft. Auch wenn es normal ist, „dass wir da reingehen“, sagt ENT-Leiterin Gabriele Heise. Dennoch, es gebe Einsätze, wo das Erlebte allein nicht verarbeitet werden könne.

Wenn Kollegen beim Einsatz sterben, Kinder nur noch tot geborgen werden, bei eigener Lebensgefahr oder bei Großeinsätzen. Wie 1986 beim Bombenanschlag auf die Diskothek „La Belle“. Sie müssen sich das mal vorstellen“, sagt Gabriele Heise. „Sie kommen da hin und da liegen überall Verletzte rum. Ihrem ersten Impuls, dem Nächstliegenden zu helfen, dürfen sie nicht nachgeben, das wäre unprofessionell. Erst brauchen sie einen Überblick, sonst sind sie niemandem eine Hilfe.“

Das ENT entstand 1996 zunächst aus einer Arbeitsgruppe. Die bildete sich Mitte der 90er-Jahre in Berlin nach mehreren besonders dramatischen Einsätzen. 1991 starben beim Großbrand in der Gradestraße zwei Kollegen. In der Augsburger Straße trugen 1996 vier Feuerwehrmänner schwere Verbrennungen davon. Einer der verletzten Kollegen wurde mit Brandwunden zu Thomas Oelke auf den Rettungswagen gebracht. „Hals und Arme verbrannt, der hat geschrien wie am Spieß“, erinnert sich Oelke.

Inzwischen gibt es spezielle Anzüge, die vor Verbrennungen schützen. Und das ENT für die seelischen Wunden, die viel langsamer heilen.

Heise und ihre Kollegen übernahmen das Nachsorgekonzept des Amerikaners Jeffrey T. Mitchell. Der Psychologe und frühere Feuerwehrmann gilt als Urheber der Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Mitchell stützte sich dabei auf die Erfahrungen psychosozialer Fachleute und Einsatzkräfte. Sie schaffen zum einen Akzeptanz. Polizisten betreuen Polizisten und Feuerwehrleute Feuerwehrleute. Kollegen kennen schließlich das Arbeitsfeld der anderen genau, haben den gleichen Sprachcode und haben so eine Vertrauensbasis.

Andererseits ist Schnelligkeit vonnöten. Traumatische Ereignisse dürfen gar nicht erst verdrängt werden. Deshalb bietet das ENT einen so genannten „Einsatzabschluss“. „Wir holen die Leute mental aus dem Erlebten raus, würdigen ihre Arbeit und bieten unsere Hilfe an“, sagt Heise. Damit soll dem „Nach-Hause-Tragen“ verdrängten Schreckens vorgebeugt werden. Die Nachsorge besteht dann in Einzel- und Gruppengesprächen nach der Mitchell-Methode. Ist längerfristige Betreuung notwendig, wird ein Psychotherapeut vermittelt.

„Anfangs wurden wir total verlacht“, erzählt Heise. Ihre Arbeit musste sich gegen die Vorurteile der Feuerwehrleute durchsetzen. Kämpfen gegen das Immage des „harten (Feuerwehr-)Mannes“. Noch heute, erzählt Feuerwehrmann Oelke, outeten sich viele Kollegen erst auf Pensionsfeiern hinter vorgehaltener Hand, Hilfe bei dem ENT gesucht zu haben. „Die Angst, als Weichei zu gelten, ist groß.“ Doch die Helfer der Helfer erkennen inzwischen eine größere Aufgeschlossenheit. Was auch mit einem Wandel des Männerbildes zu tun habe. Gefühle würden eben stärker zugelassen und kommuniziert. Auch gingen ältere Kollegen inzwischen besonnener mit dem Nachwuchs um. So genannte „Feuertaufen“, makabre Mutproben, wie der Auftrag an den Neuling, einen Erhängten von vorn abzunehmen und sich kaputtzulachen, wenn sich Erbrochenes über den jungen Kollegen ergießt, sind heute passé. Verbrennungs- und Verwesungsgerüche glauben manche Retter noch wochenlang zu riechen. Das Gefühl des Ekels wird verdrängt. „Die wollen eben einfach starke Helfer sein“, sagt Heise. Etliche werden auch von Schuldgefühlen geplagt. Dem Gedanken, nicht schnell genug gewesen zu sein. Wie in Schwanenwerder nach dem Juli-Unwetter, als die Einsatzkräfte erst einmal Bäume beiseite räumen mussten, ehe sie an die Verletzten rankonnten. Ein Feuerwehrmann erzählte, wie er ein verletztes Kind fand, das neben seinen toten Eltern saß. Es war eingeklemmt, daher musste er zurück, um Werkzeug zu holen. Eine unbeschreibliche Panik, das Kind hätte unterdes sterben können.

Die weltweite Würdigung der New Yorker Feuerwehrmänner nach dem 11. 9. hat in Erinnerung gerufen, wie gefährlich die Arbeit der Retter ist. Dennoch warnt Gabriele Heise vor einer Heroisierung, wie sie oft bei in Fernseh-Reportagen betrieben wird. Dies entferne nur von der Realität und schade. „Ein normaler Austausch mit Feuerwehrleuten als Menschen fehlt.“