Hoffen, dass nichts passiert

Der Objektschützer ist unter Polizisten schlecht angesehen. Zwölf Stunden dauert seine Schicht, bei Wind und Wetter steht er auf der Straße. Ablenkung ist nur selten in Sicht und noch seltener erlaubt

von PLUTONIA PLARRE

324 Schritte hin. 324 Schritte zurück. In mäßigem Tempo braucht ein Wachpolizist für die Wegstrecke am US-Konsulat an der Clayallee vorbei sechs Minuten. „Wenn man langsam läuft, verstreicht die Zeit schneller“, sagt ein Objektschützer. „Gehen ist besser als stehen“, ergänzt ein Kollege. „Stehen hat böse Folgen für die Knöchel und die Wirbelsäule.“

Kaum eine Tätigkeit bei der Polizei ist so hart und monoton und gleichzeitig so schlecht angesehen wie die der Polizeiangestellten im Objektschutz, kurz Wapos genannt. Die rund 1.600 Angehörigen der Wachpolizei, die für den Außenschutz hauptstädtischer Einrichtungen – von Botschaften über Regierungsgebäude bis zu Bundesministerien – zuständig sind, sind die Parias der Polizei. Daran haben auch die gemeinsamen Streifendienste von Schutz- und Wachpolizisten nach dem 11. September 2001 nichts geändert.

Es ist früher Nachmittag. Die Sonne brennt. Die Parkspur auf der Clayallee ist von rotweißen Absperrgittern gesäumt. Neben dem Postenhäuschen am US-Konsulat stehen zwei Wachmänner. „Ich stehe gern in der Sonne, dass setzt Glückshormone frei“, sagt der eine trocken.

Auf den ersten Blick sehen die beiden wie Schupos aus. Sie tragen dieselben Hemden und Hosen und haben eine Pistole im Halfter. Den feinen Unterschied bemerken nur Kenner. Statt einer grünen Kordel umrandet ihre Dienstmütze ein schwarzes Plastikband, die Schulterklappen zieren Streifen statt Sternen. Im Gegensatz zum Schupo, der eine mehrjährige Ausbildung absolviert, wird ein Wapo – meist sind es ehemalige Handwerker – in einem neunwöchigen Kursus ausgebildet. Insbesondere die jungen Schutzpolizisten würden sich für etwas Besseres halten, erzählt ein Wachschützer. Kein Wunder, wenn dem Schupo-Nachwuchs bei der Ausbildung gedroht werde: „Wenn ihr faul seid, landet ihr bei den Wapos.“

Auch beim gemeinsamen Einsatz vor dem Objekt wird spürbar, wer oben und wer unten steht. Während sich die Angehörigen von Schupo und BGS in ihren Gruppenfahrzeugen räkeln, müssen die Wapos auf Posten stets Haltung bewahren. Hinsetzen, an einen Baum lehnen oder am Absperrgitter aufstützen ist strikt verboten.

Der 26-jährige Norbert B. ist seit über 20 Jahren beim Objektschutz. Zu DDR-Zeiten hat der ehemalige Volkspolizist die Botschaft von Indonesien bewacht. „Missionsschutz“ nannte sich das. Nach der Wende wurde er auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit überprüft und dann vom Objektschutz übernommen. Am 11. September, als die Flugzeuge in New York in die Twin Towers flogen, hatte Norbert B. frei. Die Bilder hätten ihn sehr erschüttert, sagt er. Seither versuche er auf Streife „noch intensiver“ nach auffälligen Personen Ausschau zu halten.

Doch mit dem Intensivschauen ist das so eine Sache, wenn man 12 Stunden im Einsatz ist. Die reine Stehzeit auf der Straße beträgt 8 Stunden. Alle 2 Stunden darf sich der Wachschützer für 60 Minuten zum so genannten Dienst auf Bereitschaft in einen rückwärtigen Raum zurückziehen. Dort darf auch gegessen und getrunken und können – wenn es keiner sieht – die Beine hochgelegt werden.

Wind und Wetter sind das eine, womit ein Wachschützer zu kämpfen. Postenhäuschen zum Unterstellen wie am US-Konsulat gibt es nur wenige. „Bei extremer Hitze und Kälte wird deswegen häufiger abgelöst“, sagt ein Vorgesetzer. Aber fast noch schlimmer als die Witterungsverhältnisse erscheint die Monotonie des Jobs. Ablenkung durch Passanten und lange Gespräche sind nicht erlaubt. Auf die Frage, was einem den ganzen Tag so durch Kopf geht, sucht Norbert B. nach Worten: „Dass man alles sieht und richtig einschätzen kann und dass nichts passiert.“

Andere Wachschützer sind da offener. „Man muss die Zeit totschlagen, ohne dabei die Sicherheit zu vernachlässigen“, sagt einer. Sein Patentrezept: Er überprüft seine Allgemeinbildung, indem er im Geiste die Bundesländer, Hauptstädte und Flüsse aufsagt. „Wenn ich nicht weiterweiß, frage ich einen Kollegen“. Ein anderer hat sich eine Weile auf das Zählen der vorbeifahrenden Autos spezialisiert. Das Ergebnis war erschütternd. In der Berufszeit fahren pro Stunde 3.800 bis 4.200 Autos am US- Konsulat vorbei. Nicht nur der ständige Lärmpegel zeige auf Dauer seine Wirkung, sagt der Wachmann. „Nach Schichtende hat man richtig einen schlechten Geschmack im Mund.“

Und da gibt es noch ein Problem: die Sorgen mit dem großen und dem kleinem Geschäft. Ein Wapo, der an einen Baum pinkelt? Unmöglich. Am US-Konsulat ist das kein Problem. Da haben die Objektschützer eine eigene Toilette. Die Wachleute vor dem Haus des früheren Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) hatten es da schwerer. Wenn die Blase außerhalb der Pausenzeiten drückte, musste der Betreffende über Funk Ablösung organsieren und sich selbst auf die Wache fahren lassen. Bei Klaus Wowereit haben die Wachmänner weniger Druck. Der lässt sie im Gegensatz zu Diepgen bei sich zu Hause aufs Klo.