Kakophonisch, lauschig und expulsiv

Schweißtreibende Rhythmen und Stilparodien bei der Fusion von E- und U-Musik: Am Freitagabend eröffnet das Ensemble Modern mit Frank Zappas „Greggery Peccary & Other Persuasions“ das 3. Hamburger Musikfest

Das perfektionierte Zusammengehen von High-Art und cheesy Ohrwurm-Pop

von CHRISTIAN T. SCHÖN

Am Start sind die üblichen, lange noch nicht satt- und durchgehörten Verdächtigen der zeitgenössischen Komponisten-Szene: der kommunistische Opernschreck Luciano Berio, der schweizerisch-österreichische Neuzugang Michael Jarrell, der Erfindersohn John Cage sowie der „Uraufführer“ Wolfgang Rihm.

Dass diese Namen in Hamburg überhaupt einen nennenswerten Bekanntheitsgrad besitzen, ist der Erfolg der konsequenten Arbeit des Dirigenten und Künstlerischen Leiters des Musikfests Ingo Metzmacher. Im Inneren soll das Motto „Zeugnis“ das am Freitag zum dritten Mal in Hamburg startende Festival zehn Tage lang zusammenhalten – nach „Zeit“ (2000) und „Welt -Raum“ (2001) ein nicht ganz schlüssiger roter Faden, an dem vordergründig nur wenige Werke wie Jarrells Kassandra, Berios La vera Storia oder Bernsteins Age of Anxiety hängen.

Die Headliner werden ergänzt von der nicht minder hörenswerten Zweiten Wiener Schule, einem Tonbandkonzert und der Genre-Mix-Gemeinschaftskomposition Kartá (Stockhausen/Andersen/Héral). Und mit den zwei Russinnen Galina Ustwolskaja und Sofia Gubaidulina sind diesmal so viele Komponistinnen an Bord des Festivals geholt worden wie noch nie.

Merkwürdige, rote Bunnies liefen im Vorfeld als Aktivisten in den Straßen der City Werbung fürs Festival: „ZAPPA!“ steht auf den Rücken ihrer roten Overalls. Ist der Mann nicht 1993 gestorben? Ja, aber seine Musik lebt fort. Zahllose Kompositionen und Arrangements lagern noch auf der Festplatte seines Synclaviers, die Verwalter Ali N. Askin nur an ausgewählte Ensembles herausgibt. Zur Eröffnung des Musikfests darf sich das Ensemble Modern, mit dem Zappa 1993 sein letzes Album The Yellow Shark aufnahm, an Zappas Greggery Peccary & Other Persuasions von 1979 abrackern.

Weite, klangvolle Passagen stehen da neben schweißtreibenden Rhythmen, orchestrale Phasen wechseln mit Zappa-typischen Stilparodien, das Orchester wird zur Rockband. Die Stimmakrobaten Omar Ebrahim und David Moss werden mit disneyländischen Giggelstimmen und Zappas tiefem Sonor die bekiffte Geschichte vom Schweinchen Greggery Peccary erzählen, das als Trendmonger, „a person who dreams up a trend“, den Kalender erfindet. Die anschließende Verfolgungsjagd, das Love-In und ein kakophonisches Transistorradio-Konzert sind komplett in lauschigen Melodien und expulsiven Gesangseinlagen komponiert.

Bereits 1963 komponierte Frank Zappa Filmmusik, und auf seinem 66er Debüt Freak Out! verstörte er die Hörer zwischen Rock- und R&B-Nummern mit Musique concrète. Für seine Kompositionen verschliss Zappa auch schon mal das Royal Philharmonic Orchestra oder das London Symphony Orchestra. Bis er an der widerspenstigen Haltung der Musiker schier verzweifelte: „orchestral stupidities“.

Das derartige Zusammengehen von High-Art und cheesy Ohrwurm-Pop hat er zeit seines Lebens schamlos perfektioniert. Zappas Musiker mussten pikfein Noten lesen und gleichzeitig nach seinen wilden Gesten improvisieren können. Ein stilistischer Neuerer war Zappa aber nur in der Hinsicht, dass er das geniale Stil- und Zitate-Mixen beherrschte und damit skrupellos die künstliche Trennung von E- und U-Musik unterlief (die das Musikfest glücklicherweise nie zog). Mit Yellow Shark eroberte er schließlich die ehrwürdigen Musiksäle Europas. Dass dabei manch einprägsame Melodie herausspringt, wiegt schwerer als das „Crossover“ von klassisch angehauchten Film-Soundtracks oder Steve-Reich-Remixen.

Freitag, 20 Uhr, Musikhalle; Film 200 Motels: Freitag, 22.45 Uhr, Abaton; weitere Termine unter www.hamburger-musikfest.de