Global inspiriert

Die so genannte Fünfte und Sechste Generation des chinesischen Kinos: Eine Filmreihe im Metropolis zu den Hamburger China-Wochen

Lieber schmuggeln sie ihre Filme außer Landes, als sie zensieren zu lassen

von TOBIAS NAGL

Neben Japan besitzt China eine der ältesten nicht westlichen Kinematographien der Welt: Bereits 1896 führten Teehäuser in Shanghai die technische Attraktion bewegter Bilder im Rahmen von Varieté-Vorstellungen vor; 1921 entstand der erste chinesisch-produzierte Spielfilm; bereits Anfang der 30er konnte Shanghai eine florierende Filmindustrie mit eigenen Studios und bewunderten Stars ihr Eigen nennen. Am Desinteresse des Westens hat das lange Jahre wenig geändert.

Erst nach den nationalistischen Exzessen der maoistischen Kulturpolitik wendete sich der Blick des internationalen Publikums in den 80ern in Richtung Volksrepublik. Verantwortlich dafür waren vor allem Chen Kaige und Zhang Yimou, zwei Regisseure, die eine ganz neue Vitalität repräsentierten. Beide rechnet man der so genannten Fünften Generation zu, jener Gruppe von Filmstudenten, die an der Pekinger Filmhochschule eine Ausbildung erhielten und sich später anschickten, das chinesische Kino zu revolutionieren.

Die Nouvelle vague dieser postkulturrevolutionären Stilisten zeichnete sich durch eine global inspirierte Filmsprache aus, die technisch perfekt, symbolisierend und episch war. Ihre Themen holte sie sich – oft aus Zensurgründen – aus der Vergangenheit oder der ländlichen Wirklichkeit. Auch im Export war die Fünfte Generation erfolgreich.

Ganz anders der Zugang der darauf folgenden, der „Sechsten Generation“, des heutigen Kino-Undergrounds. Deren Angehörige praktizieren einen „unfertigen“, dreckigen und vor allem urbanen Stil, der nicht zuletzt deshalb möglich ist, weil jeder heute mit einer Digitalkamera bewaffnet und mit der nötigen Entschlossenheit seinen eigenen Film drehen kann. Im Gegensatz zur Fünften Generation sind die sie beerbenden Filmemacher wie Wang Xiaoshuai oder Lau Ye einer neorealistischen Agenda verpflichtet. In ihren Filmen geht es mitunter um verdrängte Themen wie Aids, Drogen, Homosexualität oder kapitalistische Statussymbole: eine Realität, die oft nur deshalb dargestellt werden kann, weil die Filmemacher ihre Filme lieber außer Landes schmuggeln, als sie zensieren zu lassen.

Diesem „neuen“ chinesischen Kino der letzten zwanzig Jahre widmet das Metropolis nun im Rahmen der Hamburger China-Wochen eine umfangreiche Filmreihe. Den aufregenderen, und vor allem unbekannteren Teil, stellen die allerneusten Produktionen dar. Shanghai Panic (2001) zählt dazu und erzählt in ungeschönten Handkamerabildern von einer Gruppe von jungen Ravern, die sich mit billigen Drogen berauschen, herumhängen und über ihre urban angst sinnieren. Von ihren westlichen Altersgenossen unterschieden sie sich eigentlich nur durch ihre ultracoolen Kassenbrillen – und ihrer Vorliebe für Jefferson Airplanes „White Rabbit“, den Alterspräsidenten des Drogen-Pop.

Shouzou River (2000) gibt sich als Videotagebuch aus, überführt jedoch den Straßenrealismus der Sechsten Generation in eine hochgradig selbstreflexive Bildsprache, die oftmals an Wong Kar-Wai erinnert. Xiao Wu (1997) erzählt lakonisch von zwei Taschendieben, von denen der eine zu Ansehen und Wohlstand als Zigarettenhändler gekommen ist, während der andere noch immer in seinem alten Beruf arbeitet. Ähnlich enge Lebensverhältnisse bilden auch den Ausgangspunkt von Regenwolken über Wu Shan (1995), der von einem Signalgeber und einer Hotelangestellten handelt.

Die Fünfte Generation hingegen ist durch Verführerischer Mond (1996) von Chen Kaige, Zhang Yimous Shanghai Serenade (1995) und Happy Times (2000) vertreten. Verführerischer Mond und Shanghai Serenade repräsentieren dabei genau das, wofür die Filmemacher auf dem internationalen Markt bekannt wurden: Visuell überbordene, klaustrophobische Kostüm-Melodramen weiblicher Sehnsüchte nach Autonomie, in denen Gong Li endlos schön leidet. Zhang Yimous Berlinale-Hit Happy Times hingegen spielt in der Gegenwart und entfaltet seine Komik mit liebevollem Charme und Gefühl, doch ohne jegliches Pathos.

Filmhistorisch flankiert wird die Reihe durch Jakow Blochs Stummfilm-Schmankerl Das Dokument von Shanghai von 1928, der direkt in die Wirren des chinesichen Bürgerkriegs zwischen Nationalisten und Kommunisten hineinführt: ein seltenes Dokument, das als einer der vier besten sowjetischen Dokumentarfilme gilt.

Shanghai Women, Hotspot Shanghai, Shanghai Panic, Souzhou River, Shanghai Serenade: s. Programm; Mr. Zhao: 20. + 30.9., 17 Uhr, 21.9., 21.15 Uhr + 30.9., 19 Uhr; Happy Times: 21.9., 19 Uhr, Das Dokument von Shanghai: 3.10., 21.15 Uhr, Metropolis