„Ein neues Genre“

„Behinderte“ sind die Hauptdarsteller. Trotzdem ist „Verrückt nach Paris“ kein „Behindertenfilm“

Vier Jahre haben Pago Balke und Eike Besuden an „Verrückt nach Paris“ gearbeitet. Heute kommt er in die Kinos.

taz: Geschafft. Ist irgendetwas ganz anders gelaufen, als Ihr erwartet hättet?

Eike Besuden: Im Prinzip ist alles in die Richtung gegangen, wie wir uns das ungefähr gedacht haben. Allerdings beeindruckt mich bis heute, wie schwer es ist, Filmförderanstalten dazu zu bringen, sich an so einem Projekt zu beteiligen.

Ihr wart auf der Berlinale, kommt ins Fernsehprogramm und habt einen potenten Verleih – und trotzdem gibt es finanzielle Probleme.

Eike Besuden: Es gibt immer noch ein Lücke von einer Million Mark. Wir haben dreieinhalb Millionen ausgegeben. Jetzt brauchen wir fast 400.000 Besucher, um diese Lücke zu schließen.

Bei den Blaumeier-Theaterproduktionen spielen die „Behinderten“ nicht „Behinderte“, sondern potente Personen wie Investoren, Kinobesitzer oder den Doktor Faust. In eurem Film bleiben sie in der „Behinderten“-Rolle.

Pago Balke: Das Strickmuster ist trotzdem ähnlich – auch bei uns kommen die „Underdogs“ ganz groß raus. Und: Sie spielen sich ja nicht selber. Das ist ganz wichtig zu trennen. Frank Grabski als Person würde zum Beispiel nie so lamentieren wie er das als „Philip“ in Paris tut, wo er sagt, wie beschissen es ist, ohne Arme auf dem Klo zu sitzen.

Der Film arbeitet deutlich mit einer Märchenebene. Aber trotzdem wird kein Weg in die wirkliche Mündigkeit gezeigt – die Hauptpersonen landen letztendlich wieder im Heim.

Pago Balke: Dass sie auf eimal ihr ganzes vorheriges betreutes Leben hinter sich lassen, war uns ein bisschen zu utopisch. Immerhin: Hilde traut sich, den Heimleiter öffentlich zu beschimpfen. Karl kommt aus seiner Entenwatschel-Behindertenwerkstatt heraus, und Philip kann seine Dame wieder in die Arme schließen.

Stichwort „Naives Kino“: Was sagt Ihr zu der Kritik, dass die Figuren etwas süßlich und verniedlichend gezeichnet seien?

Eike Besuden: Ich finde, es ist überhaupt kein naiver Film. Die Figuren haben manchmal etwas Naives. Aber das liegt wirklich in den Figuren.

Der Film gibt vielen Leuten die Möglichekeit, einen leichten, freundlichen Zugang zu kriegen zu einem Problem, das sie mit sich selber im Umgang mit „Behinderten“ haben. Wir zeigen diese Leute so amüsant, so charmant, so mit dem Leben fertig werdend, wie sie es in vielen Situationen hinkriegen, aber wie es die Außenwelt von ihnen nie glaubt.

Ein „freundlicher Zugang“: Ist man mit „Blaumeier“ in Bremen nicht schon einen Schritt weiter?

Eike Besuden: Erstens wollen wie den Film ja auch ganz vielen anderen Menschen zeigen, die nicht mit „Blaumeier“ vertraut sind und diesen Bremer Vorteil haben. Im übrigen glaube ich nicht, dass dieser Film hinter „Blaumeier“ zurückfällt.

Pago Balke: Wir haben ja versucht, ein neues Genre auszuprobieren. Also nicht einen Film zu machen, in dem Schauspieler Behinderte spielen. Das ist ein Novum in der deutschen Filmgeschichte. Das war ein großes Experiment.

Wie funktioniert der Film außerhalb von Bremen?

Eike Besuden: Sicherlich ein bisschen anders als hier, nicht von vorneherein so euphorisch – aber er funktioniert – wenn die Leute erst mal rein gehen. Es ist nämlich nach wie vor so, dass bei dem Wort „Behinderte“ eine Klappe fällt. Die ersten 15 Minuten sind die schwierigsten: Sich an die Stimmen zu gewöhnen, sich in die Figuren rein zu denken. Viele haben erst den Eindruck: Oh shit, ich bin in so einem semi-dokumentarischen Teil über Behinderte gelandet. Am Ende ist das völlig weg.

Pago Balke: Wir machen ja keine Masche, um irgendwelche irren Typen auf die Leinwand zu kriegen. Wir spazieren auf der Gratwanderung , die Leute eben nicht vorzuführen, obwohl man sie sehr deutlich und sehr nah sieht, sondern sie auch ein bisschen zu Helden zu machen. Die Zuschauer vergessen irgendwann die „Behinderung“, weil die genauso leiden, um ihre Freundin bangen. Wie jeder, der nun zufällig diese vier Gliedmaßen hat. Interview: Henning Bleyl

„Verrückt nach Paris“ läuft im Cinema und in der Gondel. Pago Balke und Eike Besuden in Drehaktion gibt’s heute (12.9.) im Fernsehen zu sehen: Der NDR zeigt um 12.15 Uhr den Making Of-Streifen „AbGedreht“ von Ayhan Salar. Einen Tag später soll Dominique Horwitz, in der NDR-Talkshow seine Sicht der Dinge darlegen