Sparen auch am Arzt

Die Grünen kritisieren, dass die Gewahrsamsordnung in der Abschiebehaft noch immer nicht lückenlos umgesetzt wird: Nach acht Monaten gibt es noch keinen Anstaltsbeirat

Die Bremer Grünen wollen auch bei unmodernen Themen weiter beharrlich bleiben. Die Zustände im Abschiebeknast im Polizeipräsidium in der Vahr sind so ein Thema. Während gestern in der Deputationssitzung verschiedene Vertreter der großen Koalition Unmut äußerten, sich schon wieder mit dem Thema befassen zu müssen, sagt der Grüne Innenpolitiker Matthias Güldner: „Wer im Abschiebegewahrsam sitzt, ist letzter in der Hackordnung. Umso wichtiger ist es zu prüfen, dass auch dort die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden.“

Anlass dafür, dass sich die Innendeputation erneut mit dem Abschiebegewahrsam befasste, ist eine auf den ersten Blick positive Neuerung. Erstmals seit Bestehen des neuen Abschiebegewahrsams soll dort die Stelle für eine Sozialarbeiterin eingerichtet werden. Vorläufig für zehn Stunden pro Woche – doch schon da ging gestern die gewohnte Debatte los. Denn während es offiziell hieß, die Stelle sei zum 1. September besetzt worden, musste der Grüne Güldner die Feststellung loswerden:„Die Gefangenen haben noch niemanden gesehen.“ Dabei macht er keinen Hehl daraus, dass eine Honorarkraft für zehn Stunden pro Woche möglicherweise nur der Tropfen auf dem heißen Stein sei. Tatsächlich wurde die offizielle Deputationsvorlage noch während der laufenden Sitzung auf den aktuellen Stand gebracht. Die sozialarbeiterische Betreuung im Gewahrsam wird am kommenden Montag beginnen. Ob sich dann grundlegend ändert, was die Grünen und die Gruppe „grenzenlos“ schon lange bemängeln, bleibt abzuwarten. Gestern jedenfalls hatte der Grüne Güldner eine Reihe von Fragen zur aus seiner Sicht lückenhaften Umsetzung der vor acht Monaten beschlossenen Gewahrsamsordnung. Dabei wies die Behörde in manchen Punkten die Verantwortung für Verzögerungen zurück.

Nach der neuen Gewahrsamsordnung – von den Grünen als „bei weitem nicht ausreichend“ kritisiert – müssten die Häftlinge beispielsweise über ihre Rechten und Pflichten im Gewahrsam informiert werden. Bislang Fehlanzeige, wie die Grünen gestern beklagten. Die senatorische Behörde äußerte dazu, es habe technische Verzögerungen gegeben, die sie nicht zu verantworten habe.

Auch der Anstaltsbeirat, der aus insgesamt fünf ehrenamtlichen Vertretern von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und einer Ausländerorganisation bestehen soll, existiert noch nicht. Das Gremium soll analog zu einem Anstaltsbeirat für den Justizvollzug die Gewahrsamsleitung beraten und auch zwischen den Interessenlagen vermitteln. Auch hier wich die Behörde aus: Wohlfahrtsverbände und Ärztekammer hätten sich mit der Benennung geeigneter Persönlichkeiten viel Zeit gelassen – ausgerechnet die Ärztekammer. Denn Klagen über mangelnde medizinische Versorgung der Häftlinge erreichen die Öffentlichkeit immer wieder. Zuletzt war der Abschiebegewahrsam in den Schlagzeilen gewesen, weil Bedienstete auf die Hilferufe der Gefangenen eine halbe Stunde lang nicht reagiert haben sollen. Nach einer erfolgreichen Wiederbelebung eines Bewusstlosen kam zwar sofort der Notarzt. Die Häftlinge waren in Aufruhr, ebenso wie im jüngsten Fall eines kurdischen Gefangenen. Der Mann soll mit einer offenen Tuberkulose jetzt in der Justizvollzugsanstalt Lingen behandelt werden, wie gestern in der Deputationssitzung unwidersprochen blieb. Zuvor habe der Mann mehrfach klagen müssen, bis er endlich einen Arzt zu sehen bekam. Gefangene, die mit ihm im Gewahrsam saßen, sind weiter abgeschoben worden.

Unabhängig davon, wie die endgültige Diagnose dieses Verdachtsfalles ausgehen wird, meinen die Grünen, dass eine ärztliche Eingangsuntersuchung in Abschiebehaft – vergleichbar der im Bremer Justizvollzug – derartige Krankheits- und Ansteckungsrisiken reduzieren könnte, zumal Abschiebehäftlinge keine Straftäter sind und deshalb in Gefangenschaft größere Rechte genießen. So können sie Umgang miteinander pflegen und haben ein Gemeinschaftszimmer. Doch eine solche medizinische Untersuchung wird es auch weiterhin nicht geben, bestätigte gestern Innensenator Kuno Böse (CDU) vor der Innendeputation. Bremen müsse sparen. Eine zusätzliche Stelle beim polizeiärztlichen Dienst komme nicht in Betracht. ede