Der Trainer hört nichts

Im vierten Saisonspiel gelingt Hertha BSC erstmals kein Remis: eine 1:2-Heimniederlage gegen Mönchengladbach. Fans fordern Ablösung des gerade erst angetretenen Trainers Huub Stevens

von MARKUS VÖLKER

Man kennt ja die Rede vom ohrenbetäubenden Lärm. Aber dass die Brandrufe der in Blau-Weiß geklufteten Ostkurven-Kamarilla bei Trainer Huub Stevens zu Taubheit führten, war bemerkenswert. Tausende geiferten ihn heraus, ihren Unmut über das inferiore Spiel von Hertha BSC. Abertausende riefen: „Stevens raus!“, grölten mit Bezug auf Stevens Ex-Club Schalke: „S 04, die Scheiße vom Revier!“, und übertrafen sich sodann mit dem Ruf nach dem alten Trainer: „Wir woll’n den Falko Götz!“ Nur Stevens – vor der Saison nach Berlin gekommen, um den Klub an die europäische Spitze zu führen – wollte nichts vernommen haben. „Ich hab das nicht gehört, ich hab mich auf das Spiel konzentriert“, beschrieb er seinen plötzlichen Hörsturz. „Und wenn ich nichts höre, kann ich auch nichts dazu sagen.“

Mag sein, dass die Konzentration aufs Spiel ihm die Sinne vernebelt hatte. Denn was Stevens auf dem Rasen sah, war schlechter Fußball in hoher Dosis. In der ersten Halbzeit führten die Herthaner einen Kick auf, der die bekanntermaßen ungeduldigen Berliner Fans provozieren musste. Sie konnten ihrer lynchmobbenden Natur gemäß gar nicht mehr anders, als sich verbal auf den Sturm des Trainersessels einzustimmen.

„Was auf dem Platz passiert, das wird natürlich von außen kommentiert, das ist ganz normal“, sagte Hertha-Spieler Stefan Beinlich, der seit langem mit der brüchigen Zuneigung des Hertha-Fans zu seinem Liebesobjekt vertraut ist. Aber die prompte Umkehr von vager Hoffnung in blanken Hass überraschte auch ihn, der mit seinem Elfmeterfoul (9. Minute, Markus Münch) die Niederlage gegen Borussia Mönchenglabach sowie das Schmähgesudel einleitete.

„In guten und in schlechten Zeiten muss man hinter der Mannschaft stehen“, forderte Stevens verdattert, „das will ich auch in Berlin haben.“ Die schlechten Zeit sind weiß Gott angebrochen, schneller, als es sich Stevens hätte träumen lassen. Hertha hat nach vier Spieltagen noch kein Match gewonnen. Die Mannschaft steckt in tiefer Lethargie. Aus dem Pokal ist man nach schmählicher Leistung gegen Regionalligist Holstein Kiel geflogen. Schon scheint es, dass sich im Team Röberianer und Stevenisten bekämpfen und ein paar Verehrer Götzes das Kuddelmuddel komplett machen.

Den Dreieckskonflikt zwischen Anhängern des im Januar entlassenen Langzeittrainers Jürgen Röber, des erfolreichen Interimscoaches Falko Götz und des erfolglosen Starübungsleiters Huub Stevens löst Hertha offenbar nach Freud’scher Art der Verdrängung. Gelähmt schleicht die Elf über den Platz und vermag keine Gegenwehr zu leisten, von Angriffselan ganz zu schweigen.

„Wir woll’n euch kämpfen sehen!“, schallte es am Dienstagabend immer wieder durch das mit 40.000 Zuschauern gefüllte Olympiastadion. Nur zu Beginn der zweiten Hälfte raffte sich Hertha auf, spielte ein wenig zügiger, wurde aber durch das 0:2 (58. Minute, Joris van Hout) gebremst. Hertha kam nur noch zum Anschlusstreffer. Marcelinho schlug in der 80. Minute einen Freistoß an die Latte, Michael Preetz staubte ab.

Gästetrainer Hans Meyer war sichtlich froh, nicht in Stevens Haut zu stecken. „Ich hab ja in Berlin viel kleinere Mannschaften trainiert, da weiß ich, was hier abgeht.“ Eine ganze Menge nämlich. Allen voran sind es die hiesigen Boulevardzeitungen, die die Hatz forcieren. „Schlimme Hertha“, tadelte der Berliner Kurier. „1:2! – Huubs Hertha-Horror“, stabreimte Bild und mahnte: „Nix da, Herr Stevens. Mies, mieser, Hertha.“

Nicht alle suchten die Schuld beim Chefcoach. Jungnationalspieler Arne Friedrich etwa fand den Mut, zu sagen, dass sie von Stevens vor dem Spiel „vernünftig“ eingestellt worden seien. „Wir haben auf dem Platz versagt.“ Und: „Wir wollen beweisen, dass er der Richtige ist.“ Manager Dieter Hoeneß, „tief, tief enttäuscht“, meinte, der Trainer habe einen Kredit verdient. „An Huub Stevens liegt das nicht, das ist ganz klar“, sagte er. Schon eher an den Spielern. Deswegen müssten sich einige von denen, die „pomadig“ gespielt haben, um ihre Vertragsverlängerung Sorgen machen. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge könnte sich der Kader auf eine Hand voll Profis reduzieren.