Dumm gelaufen

Die Tauschbörse Napster ist endgültig pleite. Auch Bertelsmann hat kein Interesse mehr an dieser Art der Jugendkultur. Die Prozesse der Medienkonzerne gegen andere Peer-to-Peer-Netze gehen weiter

von VERENA DAUERER

Wir haben ein Gaststspiel mit folgenden Darstellern: einem Kid, das eine Software schrieb, eine mit feurigem Eifer auf ihre Pfründen bedachte Musikvereinigung, mehrere Gerichte jeder Ebene und zuletzt einen Medienkonzern, der ein Stück Jugendkultur einkaufen wollte. Das Ende ist tragisch.

Mitte 1999 schmiss ein 19-Jähriger namens Shawn Fanning die Uni, um sich nur seiner zusammen mit Sean Parker gegründeten Firma Napster zu widmen. Den Code für die Software mit dem gleichen Namen hatte er aus Frust geschrieben. Weil es bis dahin im Netz wenig Anständiges zum Tauschen von MP3-Files gab, konnte man sich nur von Seite zu Seite hangeln und die absuchen.

Shawn gab der Software seinen Spitznamen „Napster“ – den trug er, weil er immer so zerknautscht genopptes Haar (nappy hair) unter seiner Kappe hatte. Napster wurde zum Vorbild für sämtliche Swapprogramme und zum Symbol für den freien Informationsaustausch. Nicht zufällig machten sich es die Kids zuerst zu Eigen. Schnell wurde die Software eine Killerapplikation und der Renner unter den Studenten, woraufhin die amerikanischen Unis Napster auf ihren Rechnern sperrten.

Angesichts von bald 65 Millionen Usern wuchs die Hysterie der Musikindustrie wegen angeblich immenser Umsatzverluste durch Peer-to-Peer und besonders durch das Brennen von CDs. Das trieb nicht nur auf der Popkomm 2000 lustige Blüten. Dort starteten die Majors die Kampagne „Copy Kills Music“ und bedruckten T-Shirts. Im Herbst letzten Jahres strahlte der Disney Channel in Amerika eine Episode der Serie „The Proud Family“ aus, in der ein Mädchen von einem finsteren Typen zum Filesharing verleitet wird. Wie vom bösen Wolf verführt. Schließlich wird sie festgenommen, und ihr Computer ist weg. Musiker werden gezeigt, die nur noch magere Gehaltsschecks erhalten, sie selbst verliert ihren Job, weil in ihrem Plattenladen niemand mehr einkauft.

So kann es gehen mit den bösen Buben und Mädchen, und der pädagogische Lerneffekt ist wahrscheinlich so groß wie bei dem Versuch, Haschisch als Einstiegsdroge für Heroin zu verdammen. Mit dem einsetzenden Hype ums Filesharing im Internet wurde auch Shawn berühmt, brachte es auf zahllose Magazintitel, stellte Britney Spears bei den MTV Music Awards vor und wurde IT Professional of the Year 2000.

Shawn, der mild lächelnde, unauffällige Junge mit der aufgeschweißten Baseballkappe. Der selbst ernannte Geek, der in einem Interview mit der New York Times über sich meinte, dass „Computerleute zum antisozialen Verhalten tendieren“ (www.nytimes.com/2002/07/28/magazine/28QUESTIONS.html). Und der deswegen den ganzen Rummel um sich immer unangenehm fand. Eine Fanseite hat er trotzdem: www.onearmedpony.org/sfanning.

Shawn ist mittlerweile 21. Was macht er wohl jetzt, nach der Auflösung seiner Firma letzte Woche? Wahrscheinlich geht er nach wie vor ins Fitnessstudio und hebt Gewichte und – ja, auch er kauft sich ab und an brav CDs. Die Geschichte von Napster und seinem Ende hat eine skurrile Note, nämlich seine Verquickung mit der Bertelsmann AG. Die Deutschen scherten aus der Klagefront der Musikmajors aus, und steuerten ein strategisches Bündnismit dem Feind an. Ziel war seine Einverleibung und Umwandlung in eine kostenpflichtige Tauschbörse.

Das war leider nicht ganz billig. Bertelsmann investierte um die 80 Millionen Dollar. Aber im Juli 2001 wurde Napster nach unzähligen Klagen kläglich und endgültig gezwungen, offline zu gehen. Ein Bezirksgericht entschied, dass Napster wegen Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung geschlossen werden muss. Zwar boten die Kläger unter dem Dach der amerikanischen Tonträgerlobby RIAA nebenher selbst bezahlte Services wie Pressplay und Musicnet an, bei denen man sich gegen Gebühr Musikfiles streamen kann. Bei dem berüchtigten Peer-to-Peer-Netz, bei dem man nun an Bertelsmann zahlen sollte, wollten sie aber nicht mitmachen. Ihre Lizenzen für Musikstücke blieben unter Verschluss. Im Mai 2002 trat deshalb Napster-Geschäftsführer Konrad Hilbers, ehedem Bertelsmann-Manager, zurück. Ein paar Tage später verkündeten die Gütersloher mutig, sie wollten den Laden mitsamt seinen Schulden übernehmen. Hilbers blieb im Amt und wurde Vorstandsvorsitzender. Auch das half nichts, anfang Juni dieses Jahres beantragte Napster Gläubigerschutz mit immerhin 92 Millionen Schulden. Der geplante Launch von kostenpflichtigem Filesharing wurde auf den kommenden Herbst verschoben.

Dumm gelaufen. Endgültig stillgelegt wurde die Firma letzte Woche am Dienstag, dem 4. September, wieder durch ein Gericht. Ein Konkursrichter entschied, dass Bertelsmann Napster nicht übernehmen darf, weil Hilbers als ehemaliger Mitarbeiter von Bertelsmann dem Giganten zu nahe steht. Ausschlaggebend war ein E-Mail-Wechsel zwischen Hilbers und dem mittlerweile abgetretenen Chef Thomas Middelhoff. Nichts war da mit letzter Hilfe durch den Konzern, das bedeutete natürlich das bankrotte Aus, und das letzte Häufchen an 42 Angestellten bekam am selben Tag die Kündigung mit auf den Nachhauseweg.

Prozesslawine

Nun, von einem ernsthaften Rettungsversuch konnte ohnehin keine Rede sein. Das Wall Street Journal meint, die legendäre Company sollte sowieso bloß irgendwo eingegliedert oder dichtgemacht werden. So ist vom Logo auf der Webseite www.napster.com, einem Katzen-Alien mit Kopfhörern, ein abgespeckt jämmerliches Miezekätzchen mit dem Spruch: „Napster was here“ geblieben. Möge es in Frieden ruhen.

Und was hat Bertelsmann gelernt? Der Global Player kehrt zurück zu den alten Werten und widmet sich verstärkt dem Printmarkt. Sein Buchklub ist schließlich die älteste User-Community Deutschlands. Aber offline. Neuer Vorstandsvorsitzende ist seit dem 1. August Gunter Thielen und ein erklärter Gegner von so neumodischem Zeugs wie Internet. Als Erstes wird der Onlinebuchversand BOL abgegeben, der Musikvertrieb BeMusic soll danach drankommen, und der geplante Börsengang ist auf unbestimmte Zeit verschoben.

Ein harter Gegensatz zu seinem Vorgänger Thomas Middelhoff und jener Zeit im Mai, als verkündet wurde, Onlinemusik sei das große Ding. Und seit einer Weile geht es auch anderen Peer-to-Peer-Programmen an den Kragen, indem sie einfach von der Musikindustrie mit einer Prozessflut in die Zahlungsunfähigkeit geklagt werden: Grokster, kaZaA und Morpheus können sich ihre Anwälte kaum noch leisten, und am selben Tag, als das Ende der Firma Napster verkündet wurde, gab ein Bundesgericht einer Klage statt und ordnete an, dass auch das Netwerk von Aimster, einem seiner ersten Nachfolger, abgeschaltet wird.

vdauerer@t-online.de