„Kein Melodram, wie manche behaupten“

„Aida“, Guiseppe Verdis Pracht- und Liebesoper in Bremen. Der israelische Regisseur David Mouchtar-Samurai will feine Psychologie statt Elefanten

taz: Das Textbuch von Aida zeichnet sich besonders dadurch aus, dass es ungemein viele Ebenen gibt: den Totalitarismus des Pharaonenreiches, die Vater-Tochter-Beziehung, die dramatische Formen annimmt, die Liebe der Amneris und ihre Erfahrung, dass sie nicht geliebt wird. Dazu noch die selbstverständlich wirkende Todesbereitschaft der Liebenden Aida und Radames, vielleicht noch der Machtkampf des Oberpriesters Ramphis mit dem König, in dem Radames nur eine Schachfigur ist ... Wie setzen Sie die Akzente?

Mouchtar-Samurai: Es ist ein tolles Libretto voll feiner Psychologie und kein Melodram, wie so manche behaupten. Alle Figuren haben ihre Würde und Rechtfertigung. Die Herausforderung für die Regie liegt darin, beide Ebenen, den intimen Aspekt und die große Schau zu realisieren.

Man könnte natürlich, wie es manchmal gemacht wird, große Teile der opulenten und spektakulären Szenen streichen. Wir haben entschieden, die Oper so zu akzeptieren, wie Verdi sie geschrieben hat, mit allen Tänzen und so weiter. Denn auch diese Teile sind fantastische Musik.

Gehen Sie denn historisch vor?

Wenn ich nicht einen Ansatz gefunden hätte, diesen Stoff den Menschen heute nahe zu bringen, hätte ich mich gar nicht mit diesem Stoff beschäftigen können.

Eine Frage zu Radames: Wie steht er zum System, in dem er lebt? Er ist ja auch sehr loyal, er macht seine Karriere. Ist er berechnend oder naiv?

Naiv ist er keinesfalls. Es geht um erwachsene Menschen, erwachsene Liebe und höchst komplizierte Beziehungen.

Was machen Sie mit dem in Verona zum Hollywoodbreitwandspektakel heruntergekommenen Ägyptenbild?

Der Hollywood-Aspekt kommt in meiner Arbeit vor. Aber er wird nicht nur ausgestellt, sondern eben auch hinterfragt. Elefanten kommen nicht vor.

Hat das antike Szenarium eine metaphorische Bedeutung?

Ich mag diesen Ausdruck „metaphorische Bedeutung“ nicht. Natürlich handelt es sich um Krieg und Macht und mit welcher unglaublichen Leichtigkeit hier Krieg erklärt wird und so weiter. Wichtiger ist mir, dass die Menschen, die diese Handlungen initiieren, wirklich lebendige Menschen sind und keine Opern-Mumien.

Wie geht denn die Zusammenarbeit mit der Musik? Ich sehe eine große Schere zwischen den Klischees, die gerade dieser Oper so unsäglich aufgepfropft wurden und der fast kammermusikalischen Subtilität der Partitur.

Noch einmal: für mich existiert diese Schere nicht.

Aida ist Verdis drittletzte Oper, danach kommt nach sechzehnjähriger Kompositionspause nur noch ,,Otello“ und ,,Falstaff“. Der Komponist war engagiert im italienischen Freiheitskampf. Fließt das in Ihre Interpretation ein?

Nein, das spielt in unserer Interpretation keine Rolle. Wir leben in einer anderen Zeit. Aber warum Verdi nach dem großen Erfolg der „Aida“ sechzehn Jahre keine Oper mehr geschrieben hat, ist eine nachdenkenswerte Frage. Da gibt der wunderschöne Verdi-Roman von Franz Werfel interessante Anregungen.

Sie inszenieren ja Schauspiel und Oper gleichermaßen. Was reizt Sie so sehr an der Oper?

Mit hundert Leuten zu arbeiten ... Ja, warum mache ich Oper? Es ist schöne Musik! Natürlich gibt es Unterschiede. Bei der Oper ist man in eine viel festere Form eingebunden. Man hat nicht den Luxus und das Privileg, wie beim Schauspiel in einem langen Prozess Dinge auf Proben zu entwickeln. In der Oper muss man schneller zu Ergebnissen kommen. Ich brauche beides.

Ute Schalz-Laurenze

Premiere ist heute abend um 19.30 Uhr am Goetheplatz. Musikalische Leitung: Lawrence Renes. Weitere Aufführungen im September: 15., 17., 22. und 27.9.