Moskau droht mit Erstschlag

Russlands Präsident Wladimir Putin stellt der Regierung im benachbarten Georgien wegender Aktivitäten tschetschenischer Rebellen im Pankisital ein Ultimatum bis Anfang Oktober

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Während die Welt der Opfer des 11. September gedachte, brütete der russische Präsident Wladimir Putin an seinem Urlaubsort in Sotschi mit führenden Militärs und Geheimdienstlern über dem Text eines Ultimatums, das der Kreml noch am Mittwochabend dem Nachbarn Georgien stellte. Wütend verlas Putin den gesamten Text des Ultimatums vor laufender Kamera. Offensichtlich war der Auftritt seit längerem geplant. Noch am Morgen hatte der russische Präsident mit seinem US-Kollegen George Bush telefoniert.

Sollte Georgiens Führung nicht in der Lage sein, an der russisch-georgischen Grenze für Sicherheit zu sorgen, so droht Moskau, werde Russland als UN-Mitglied sein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN Charta wahrnehmen. Ausdrücklich erwähnt das Ultimatum auch die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1373 vom 28. September 2001, in der sich die Unterzeichner verpflichten, terroristische Aktivitäten auf ihrem Staatsgebiet zu unterbinden.

Nach Moskauer Lesart ist Georgien seinen Verpflichtungen nicht nur nicht nachgekommen, sondern gewährte im Pankisital tschetschenischen Rebellen sogar bewusst Unterschlupf. Nach massiven Moskauer Protesten waren erst in der letzten Woche georgische Einheiten in das Tal vorgerückt, um Ruhe und Ordnung herzustellen. Tschetschenische Freischärler um den Warlord Rusland Gelajew, die sich dort vorher aufgehalten haben sollten, hatten sich unterdessen schon aus dem Staub gemacht.

Der Kreml zweifelt am georgischen Willen, tschetschenischen Freischärlern das Handwerk zu legen. Inzwischen gleicht der Konflikt um das Pankisital einer Seifenoper. Allen Beteiligten ist klar, dass die Hand voll tschetschenischer Rebellen, deretwegen Moskau gestern auch den UN-Sicherheitsrat anrief, für das ausbleibende Kriegsglück der Russen in Tschetschenien nicht verantwortlich gemacht werden kann. Darauf verwies Georgiens Präsident Eduard Schewardnadse in einer ersten Stellungnahme: „Ich bin überrascht, dass Tschetschenien nicht mit einem einzigen Wort erwähnt wurde, dort hat alles begonnen.“ Moskau solle erst einmal in der eigenen Kaukasusrepublik Ordnung schaffen, so der Exaußenminister der Sowjetunion.

Das Ultimatum unterstellt darüber hinaus, dass sich im Pankisital Mitglieder der al-Qaida versteckt halten sowie Terroristen, die vor drei Jahren an der Sprengung von Wohnhäusern in Moskau beteiligt gewesen sein sollen. Das sind keine neuen Behauptungen, Beweise konnte bisher jedoch niemand erbringen. Im Februar waren auch US-Quellen noch davon ausgegangen, dass Al-Qaida-Kämpfer sich in der Gebirgsregion aufhalten. Nach wenigen Tagen wurde dies jedoch von der US-Botschaft in Tiflis dementiert.

Putin räumte Georgien Bedenkzeit bis zum GUS-Gipfel Anfang Oktober in Moldawien ein. Sollte sich der südliche Nachbar widerspenstig zeige, trug der Kremlchef dem Generalstab auf, „Vorschläge für Spezialoperationen vorzulegen, die darauf abzielen, kriminelle Banden zu liquidieren“ – auf dem Territorium des souveränen Nachbarn.

Putins bellizistisches Auftreten wurde von vielen Vertretern der russischen Elite, die mit seiner sanften westorientierten Politik seit dem 11. September nicht einverstanden waren, begrüßt. Nur eins scheint niemand bedacht zu haben: Wenn es Moskaus Armee schon nicht gelingt, Tschetschenien zu befrieden, wie will sie dann mit dem viel größeren Georgien fertig werden? Offenkundig betreibt der Kreml zurzeit geopolitische Sandkastenspiele in der Hoffnung, im Windschatten eines drohenden Kriegs gegen Irak wenigstens noch ein paar kaukasische Brosamen abzubekommen.

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