Der Hauptangeklagte: Ein Rätsel

Im Frankfurter Islamistenprozess nimmt Lamine Maroni wieder an der Verhandlung teil. Drei der fünf Angeklagten haben einen geplanten Anschlag auf die Straßburger Synagoge zugegeben. Bundesanwalt geht weiter von Al-Qaida-Kontakten aus

aus Frankfurt/M. HEIDE PLATEN

Unterwasserdämmerung im Sicherheitssaal des Frankfurter Oberlandesgerichtes. Der schmale Streifen blauer und milchweißer Glasscheiben an der Außenwand, hoch über den Köpfen der Prozessbeteiligten, schluckt das Licht vor und hinter der Trennscheibe.

Am 24. Verhandlungstag, dem letzten vor dem 11. September, bringt der Angeklagte Abdelkader Krimou (33) den Sommer mit in den Saal. Im hellen Hemd sitzt er lachend als Erster auf seinem Platz. Er ist seit Ende August wieder auf freiem Fuß. Wie immer gute Laune hat auch der Mitangeklagte Aeurobi Beandali (26).

Die Charaktere der fünf Algerier, gegen die seit April dieses Jahres wegen Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags vor dem Staatsschutzsenat verhandelt wird, sind grundverschieden. Hinter Beandali sitzt ernst und konzentriert, die Kiefer verspannt, Salim Boukhari (30). In der letzten Reihe wirkt Fouhad Sabour (27) wie der einzige wirklich Erwachsense der Gruppe, die im Dezember 2000 gemeinsam einen Bombenanschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt geplant haben soll. Sabour ist in Frankreich in Abwesenheit wegen der „Vorbereitung von Terrorakten“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Ihnen gegenüber lehnt, allein, bewacht und immer mit Handfesseln gebunden, der Hauptangeklagte Lamine Maroni (31). Er ist seit Ende der Sommerpause wieder dabei. Zuvor hatte er durch lautstarke Beschimpfungen des Gerichts, der Verteidiger, der Mitangeklagten seinen Ausschluss erzwungen. Maroni, eine Mischung aus Rasputin und Rumpelstilzchen, lümmelt, hüpft, zappelt mit den Füßen, schneidet Grimassen, fegt mit seinem langen, schwarzen Vollbart über den Tisch, schnickt Papierkügelchen. Manchmal gestikuliert er in Richtung der anderen vier.

Meistens sehen die durch ihren vermeintlichen Anführer hindurch. Manchmal lachen sie. Spaßig sind weder Gestik noch Mimik Maronis. Was wohl Verachtung für die ganze Veranstaltung signalisieren soll, wirkt für westliche Augen wie ein Veitstanz, wie Ausbrüche psychischen Drucks am Rande des Irrsinns.

Drei der Angeklagten haben inzwischen Teilgeständnisse abgelegt. Krinou, sagten sie übereinstimmend, sei nur eine Randfigur gewesen. Zur Rolle von Maroni schweigen sie. Beandali, Boukhari und Sabour räumten ein, zu dritt tatsächlich Sprengstoffzutaten für einen Anschlag gehortet zu haben. Allerdings sei das Ziel nicht der Weihnachtsmarkt gewesen, sondern die jüdische Friedenssynagoge. Menschen hätten dabei nicht zu Schaden kommen sollen.

Ein beschlagnahmtes Videoband spricht eine andere Bildersprache. Es ist von Boukhari und Sabour aufgenommen worden und hatte der Vorbereitung des für Ende Januar 2001 geplanten Attentats dienen sollen. Zu sehen sind der Weihnachtsmarkt, das Münster, die Ein- und Ausfallstraßen der Stadt. Die Bilder sind verwackelt, die Stimme von Boukhari undeutlich zu hören: „Ihr fahrt zur Hölle, so Gott will.“

Warum sie denn nicht das Zielobjekt aufgenommen hätten, fragt der Vorsitzende Richter Karlheinz Zeiher unermüdlich nach. Die drei Angeklagten widersprechen sich. Die beiden hätten, hatte Beandali ausgesagt, die Synagoge „nicht gefunden“. Sie hätten, sagte Sabour, sich von einer Zivilstreife verfolgt gefühlt. Außerdem sei überall Verkehrspolizei gewesen. Er habe mit seinem Auto mit deutschem Kennzeichen und französischen Papieren nicht auffallen wollen. Also habe man sich darauf beschränkt, ein Restaurant zu besuchen und den Weg dorthin und zurück zu filmen.

Sabour sagte weiter aus, der Anschlag sei in Frankfurt von den dreien in eigener Regie geplant worden, er und Boukhari seien dazu Anfang September aus London angereist und hätten sich in Frankfurt mit dem illegal dort lebenden Beandali getroffen. Man habe sich bereits 1999 in einem islamischen Ausbildungslager in Afghanistan kennen gelernt. Einen Auftrag von irgendeiner islamistischen Organisation habe es nicht gegeben.

Der Kleindealer Beandali, der den Sprengstoff hätte mischen und anbringen sollen, sei gar nicht erst nach Straßburg mitgekommen. Er habe anderweitig „zu tun“ gehabt. Boukhari habe seine Teilnahme, so Sabour, kurz nach der Rückreise von der Erkundungstour kurzfristig wegen „familiärer Probleme“ abgesagt.

Die Bundesanwaltschaft geht weiter davon aus, dass die Gruppe Kontakte zu der europäischen Terrorzentrale der Islamisten um den europäischen Sachwalter des Al-Qaida-Netzwerkes, den Prediger al-Qatada in London, gehabt habe. Von dorther hätten sie Geld, gefälschte Papiere und Waffen bekommen.

Der Prozess wird weiterhin durch strenge Sicherheitsmaßnahmen geschützt. In dieser symbolträchtigen Woche fallen die Verhandlungstermine aus.