Handykonzern im Funkloch

Nach dem Rückzug der France Télécom stehen allein in Schleswig-Holstein 2000 Jobs bei der Firma Mobilcom auf dem Spiel. Ex-Chef Gerhard Schmid will bei der Rettung mithelfen und gleichzeitig Milliarden Euro Schadensersatz kassieren

von PETER AHRENS

Die Kleinstadt Büdelsdorf bei Rendsburg hat exakt 10.360 EinwohnerInnen. Ungefähr jede zehnte BüdelsdorferIn ist beim größten Arbeitgeber der Stadt, dem Mobilfunkanbieter Mobilcom, beschäftigt. Spätestens seit gestern ist Büdelsdorf eine Stadt, die um ihre Zukunft bangt. Mobilcom steht nach dem Rückzug des Mehrheitseigners France Télécom vor der Insolvenz. 5500 Arbeitsplätze bundesweit, davon 2000 allein in Schleswig-Holstein wackeln. Eine der wenigen Weltfirmen, die das nördliche Bundesland zu bieten hat, befindet sich vor dem Crash.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) hat gestern in Büdelsdorf mit dem Mobilcom-Vorstand verhandelt, ob man das Unternehmen noch retten kann. Die Schuld an dem Desaster gab sie auch den monatelangen öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen France Télécom und dem Mobilcom-Gründer Gerhard Schmid, der vor drei Monaten auf Betreiben der Franzosen aus seinem Unternehmen herausgeworfen wurde. Schmid selbst, der gestern in Hamburg vor die Presse trat, kommentiert dies kurz und knapp: „Frau Simonis hat keine Ahnung.“

Schmid appelliert an die Politik, alles zu tun, um die Insolvenz von Mobilcom zu verhindern. Ansonsten tragen aus seiner Sicht die „Mitarbeiter und vor allem die Aktionäre“ das Desaster. Der schwerreiche Selfmademan, der immer noch Hauptaktionär des Unternehmens ist, kündigte an, France Télécom auf Schadensersatz in Milliardenhöhe zu verklagen, falls Mobilcom die Insolvenz anmelde. Bereits jetzt laufen mehrere Klagen Schmids gegen sein ehemaliges Unternehmen und den französischen Telekommunikationskonzern. France Télécom sei „mit nicht geahnter Brutalität“ vorgegangen und habe die Firma behandelt „wie eine koloniale Bananenplantage“, formulierte Schmid. In sein früheres Unternehmen wolle er aber nicht wieder einsteigen: „Mir gefällt das Leben als Aktionär ganz gut.“ Er werde nun versuchen, zur Rettung von Mobilcom beizutragen, und danach „mache ich erst einmal lange Urlaub, bis ich keine Lust mehr am Nichtstun habe“.

Solche Zukunftspläne können die von der Entlassung bedrohten 2000 schleswig-holsteinischen Mobilcom-MitarbeiterInnen nicht vorweisen. Sie hatten noch am Donnerstag für den Erhalt der Arbeitsplätze in Büdelsdorf demonstriert. Gestern herrschte weitgehend Depression in der Kleinstadt. IG Metall-Sprecher Kai Petersen versichert, es gebe momentan „noch keinen Grund, in Panik zu verfallen“. Noch bestehen alle Lohnansprüche weiter. Der Chef der IG Metall Küste, Frank Teichmüller, hat verlangt, „den Gau sozialverträglich aufzufangen“. Die Gewerkschaft habe seit langem die Auseinandersetzungen zwischen Paris und Schmid kritisiert, „jetzt haben wir den Salat“.

Auch für den grünen Fraktionsvorsitzenden im Kieler Landtag, Karl-Martin Hentschel, ist es „nun das Wichtigste, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten“. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki nutzte die Nachrichten aus Büdelsdorf gleich zur Attacke auf Rot-Grün. Sowohl Simonis als auch Bundeskanzler Gerhard Schröder hätten viel zu spät auf die sich abzeichnende Krise reagiert.

Die Mobilcom ist zwar der spektakulärste, aber nicht der einzige Schlag für den High-Tech-Standort Schleswig-Holstein in der letzten Zeit. Der Konkurrent Motorola in Flensburg hat 140 Stellen abgebaut. Die Softwarefirma Micrologica in Bargteheide hat die Tore ganz geschlossen. Das Sanierungsgebiet an der Kieler Förde, das zum schleswig-holsteinischen Silicon Valley ausgebaut werden sollte, ist heute eine riesige Baustelle. Allein ein Unternehmer hatte mit seiner Firma hier Investitionen in Millionenhöhe angekündigt. Seitdem ist nicht viel passiert, die Bauarbeiten ruhen seit einem halben Jahr. Der Name des vollmundigen Firmenchefs: Gerhard Schmid.

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