Stadt, Mobilität, Gerechtigkeit?

Das jüngste Stadtentwicklungsgespräch drehte sich um „Die Stadt der Zukunft – mobil oder rastlos?“ Dabei war die Nachhaltigkeit städtischer Bewegungsmöglichkeiten genauso Thema wie eine feministische Perspektive auf Verkehrsplanung

Aufgeklärte Verkehrsplaner meinen mit Mobilität nicht nur den Gebrauch der unterschiedlichen Verkehrsnetze im Stadtraum, sondern auch eine soziale Qualität. Mobilität also als die Möglichkeit, soziale Kontakte aufzubauen. Beide Dimensionen bedingen sich.

Klar, wer sich ein Taxi leisten kann, kann länger in der Kneipe bleiben als der, der noch den letzten Bus erreichen muss. Ganz unten in der Mobilitätshierarchie stehen alte Menschen, Behinderte und Kinder. Es gibt somit Gewinner und Verlierer der städtischen Raum-Zeit-Potenziale. Deshalb fragen sich aufgeklärte Planer: Wie lässt sich auf dem Feld der Verkehrspolitik Chancengleichheit erzielen?

Das war das Thema des jüngsten Stadtentwicklungsgesprächs im Haus der Bürgerschaft. Als Gäste referieren Hartmut Topp, Professor für Verkehrsplanung in Kaiserslautern, und Christine Bauhardt vom Institut für Stadt-und Regionalplanung der TU Berlin: zwei kritische Geister ihrer Zunft. „Nachhaltige Mobilität“ ist Topps Arbeitsschwerpunkt. Er verbindet dabei soziale und ökologische Komponenten. Um den sozialen Wert der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben mit einer möglichst geringen Umweltbelastung in Einklang zu bringen, gilt die Formel: hohe Mobilität mit wenig Verkehrsaufwand. Das Modell einer Stadt der kurzen Wege könnte hier genannt werden. Topp listete – von Amsterdam bis Zürich – Städte auf, die in diesem Sinn bereits Erfolge aufweisen können. Bremen gehört nicht dazu.

Ganz schlimm, so Popp, ist die Verkehrspolitik im Ruhrgebiet gelaufen: eine Wüstenei planerischer Zusammenhanglosigkeit. Immerhin haben diese Verhältnisse Christine Bauhardt, die dort lange gelebt hat, dazu angestiftet, sich aus wissenschaftlich-feministischer Perspektive auf den Gegenstand Verkehrspolitik einzulassen. Sie konzentriert ihre Forschung insbesondere auf geschlechtsspezifische Raummuster und Formen der Mobilität. Zentrale Erkenntnis: Die meist von Frauen neben der Erwerbsarbeit geleistete „Versorgungsarbeit“ muss stärker berücksichtigt werden. Was von der Verkehrsstatistik undifferenziert als Freizeitverkehr aufgelistet wird – Einkaufen etwa oder Kinderbetreuung organisieren –, stellt sich für Frauen mit Kleinkindern als Zeitstress und Mobilitätszwang dar. Immerhin beginnen die Statistiker langsam, solche Unterschiede zu registrieren. Bauhardt: „Ein Erfolg feministischer Verkehrsforschung.“ Und Topp fasste zusammen: „Eine neue Verkehrspolitik braucht neben räumlicher und sozialer auch geistige Mobilität“.

Nachdem die beiden Gäste ihre Ideen vorgetragen hatten, vermittelten die folgenden Zwischenberichte lokaler Projekte einen guten Eindruck von den Mühen auf der Ebene der praktischen Umsetzung. So schien das geplante „Mobilitätszentrum“ am Vegesacker Bahnhof vor allem vom Willen zur großen architektonischen Geste beseelt: Ein linsenförmig überdachter Busbahnhof, den Architekt Rainer Schürmann enthusiastisch als „Stadtloggia“ präsentierte. Schürmann sprach von einer „Stadtkrone“, die einen „Un-Ort“ aufwerte. Er sprach nicht von einer Zusammenarbeit mit dem seit Jahren dort aktiven ZeitBüro Vegesack, das dezidiert Forderungen der Bevölkerung zu Mobilitätsfragen in Bremens Norden ermittelt hatte. Architektur also als Symbolpolitik und nicht als konkrete Auseinandersetzung mit den Wünschen der Benutzer? Eberhard Syring