Arbeit für Frau Mustermann

Was wäre, wenn das Hartz-Papier Wirklichkeit würde? Die Sozialzentren müssten erneut reformiert werden, das Arbeitsamt sowieso, Beschäftigungsträger freunden sich mit Leiharbeit an

Für die einen ist es „das fünfzigste Konzept“ zum Thema Arbeitslosigkeit, für die anderen ist es „eine Chance, die man optimistisch bewerten sollte“ und für wieder andere ist es das, worauf sie lange, sehr lange gewartet haben. Der Staatsrat im Bremer Arbeitsressort, Arnold Knigge, reagiert euphorisch auf die Vorschläge der Hartz-Kommission. “Meine halbe Biographie wird begleitet von diesem Thema“, sagt er und meint damit die Gleichbehandlung von Sozialhilfe- und Arbeitslosengeld-Empfängern, die durch das Hartz-Konzept Wirklichkeit werden soll. „Dieser Schritt war überfällig“, so Knigge, der auch bei der Bundesanstalt für Arbeit seit 1993 in Vorstand oder Verwaltungsrat tätig war.

Über 6.000 Menschen in Bremen beziehen Sozialhilfe und sind gleichzeitig auf der Suche nach Arbeit. Bislang war das Arbeitsamt für sie nicht zuständig, sondern die sozialen Dienste. Und während Frau Mustermann mit Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auch das Recht auf eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) hat, gilt dasselbe nicht für Herrn Mustermann, der Sozialhilfe bezieht.

Den Institutionen droht die Reform der Reform

Bis Mitte 2003, so will es das Papier der Hartz-Kommission, sollen die Arbeitsämter verwandelt werden in Job-Center. Näher ran sollen die an die Menschen, und zwar an alle, die Arbeit suchen. Damit, so steht es im Papier, „die Arbeitslosigkeit ein Gesicht bekommt“. Was zynisch klingt für die, die jeden Morgen in das Gesicht eines Arbeitslosen gucken – in Bremen sind das gemeldete 35.000 Menschen – aber es spiegelt die Wirklichkeit in den Arbeitsämtern. Im Schnitt ist hier ein Sachbearbeiter mit 200 Leuten beschäftigt. Das soll sich ändern. Ob das Bremer Arbeitsamt die Signale gehört hat, ob die nach den geschönten Vermittlungsstatistiken lang ersehnte Wende nun unter dem Titel „Job-Center“ doch noch kommt, erfährt man jedenfalls nicht beim Bremer Arbeitamt. „Haben Sie Verständnis, dass die Öffentlichkeitsarbeit für Hartz in Nürnberg, (bei der Bundesanstalt für Arbeit, d.Red.) gemacht wird“, wirbt der Chef im Arbeitsamt, Christian Hawel.

Was dem Arbeitsamt bevorsteht, die Neustrukturierung in Form kleinerer, stadtteilbezogener Einheiten, hat das Bremer Amt für Soziale Dienste gerade hinter sich. Mit großem ideologischen Getöse – ‚Fördern und Fordern‘ sollte jetzt für Hilfeempfänger gelten, denen demnach vorher nur irgendwie geholfen wurde – hievte man die Sozialzentren ins Leben. Die Kernaufgabe der in ‚aktivierende Fallmanager‘ umbenannten Sachbearbeiter bestand darin, arbeitssuchende und arbeitsfähige Sozialhifeempfänger in Jobs oder doch mindestens in Weiterbildungsmaßnahmen zu vermitteln. War diese Reform jetzt, wo Hartz nochmal alles neu macht, für die Katz? „Nein“, sagt Knigge, „wir brauchen die Sozialzentren natürlich weiterhin für die sozialen Dienste, vom Unterhaltsvorschuss bis zum Erziehungsgeld“. Aber eine Reform der Reform steht wohl in jedem Falle an, sollte Hartz Wirklichkeit werden.

Und das nicht nur bei den Sozialzentren. Die so genannten Beschäftigungsträger, die in Werkstätten und überbetrieblichen Ausbildungsgängen den zweiten Arbeitsmarkt in Bremen organisieren, werden sich nach Hartz umgucken müssen. Bei 13 Beschäftigungsträgern werden zurzeit rund 1.300 Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen betreut. „Für diese Programme wird weniger Geld zur Verfügung stehen“, ist Uwe Lange, Chef des größten Bremer Beschäftigungsträgers ‚Bras‘ sich sicher. Denn das Hartz-Papier geht davon aus, dass sich, wenn man nur engere Beziehungen zum ersten Arbeitsmarkt knüpft, auch mehr Leute dort unterbringen ließen. „Ein wesentlicher Daseinszweck der Beschäftigungsträger wird damit wegfallen“, glaubt Lange, und ist doch optimistisch: „Wir könnten andere Aufgaben übernehmen. Zum Teil ähneln wir ja schon den Personal Service Agenturen, die die Hartz-Kommission vorschlägt.“

Die PSA sind im Grunde Zeitarbeitsfirmen. Sie stellen Leute ein und verleihen sie an Betriebe weiter. Arbeitssuchende Jugendliche werden für mehrwöchige Praktika an Firmen verliehen, der „Klebeeffekt“, so Lange, sei groß: Betriebe fänden Gefallen an den Praktikanten und bilden sie längerfristig aus.

Die flächendeckende Leiharbeit, organisiert von den Agenturen, ist das Herzstück der Hartz-Ideen. Mit ihr soll die Langzeit-Arbeitslosigkeit sinken – in Bremen sind immerhin 33 Prozent der Arbeitslosen ein Jahr oder länger ohne Job. Zu welchen Konditionen diese Leiharbeit stattfindet, ist allerdings offen. Wird es eine tarifliche Absicherung der Zeitarbeiter geben? Wenn ja, in welcher Höhe? Wird der Kündigungsschutz torpediert, weil die Betriebe Arbeitskräfte en masse vorfinden, die sie ohne lästige Schutzbestimmungen ein- und ausstellen können?

Was nicht passt, wird passend gemacht

Uwe Lange zählt nicht zu den Bedenkenträgern. „Ich glaube dass es genügend Jobs gibt und dass geregelte Zeitarbeit eine Chance darstellt“. Die „passgenaue“ Vermittlung, sagt er, zählt längst zu den Stärken seines Beschäftigungsträgers. Vier Leute kümmern sich bei der Bras um die Vermittlung von 300 Maßnahmen-Teilnehmern, 80 hätten allein im letzten Jahr einen Job gefunden. Dass nicht alle auf dem regulären, ersten Arbeitsmarkt unterkommen, sieht auch er. Menschen mit erheblichen Einschränkungen könnten weiterhin öffentlich beschäftigt werden, „aber eben nur die, die es nötig haben. Nicht die, die sich selber helfen können“.

Da gehen die Befürchtungen der CDU-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Dreyer in eine ganz andere Richtung. Hartz verspricht die Halbierung der Arbeitslosenzahlen, „das wären im Land Bremer 20.000 neue Jobs“, rechnet sie. „Und jetzt denken Sie mal an Motta, an Siemens oder an die Stahlwerke“, zählt sie die kriselnden Betriebe auf. „Am Ende stellt der Staat die dann alle ein“, misstraut sie dem Konzept des SPD-Kanzlers. Die fünfzigste Reform sei das nun schon, die die Bundesregierung zum Thema Arbeitslosigkeit vorschlägt. Bei der Umsetzung der letzten Arbeitsmarktreform, dem Job-Aktiv-Gesetz, hätte Bremen getan, was es konnte: Ein eigener Fonds für die unter 27-Jährigen hätte Entlastung geschaffen, differenzierte Beschäftigungsprogramme bei den Trägern täten ein Übriges. An der Vermittlung sei nun nicht mehr viel zu bessern: „Was wir brauchen, sind neue Jobs“. Mit Druck auf die Arbeitslosen, der im Hartz-Papier unter dem Titel „Neue Zumutbarkeit“ firmiert, sei da nicht viel zu erreichen.

Ohne öffentliche Beschäftigung geht es nicht

Die Firma ZIP ist eine von mittlerweile 80 Bremer Zeitarbeitsfirmen. 1977 wurde sie, damals mit Unterstützung des Senats gegründet. Sie sollte sich, so der Jargon der 70-er Jahre, um eine „sozialverträgliche Arbeitnehmerüberlassung“ kümmern. Zwei Jahre lang flossen Zuschüsse, seitdem behauptet sich die Firma, wie man so schön sagt, am Markt. Manche ‚Mitarbeiter‘, also an ZIP gebundene und immer wieder entliehene Leute, sind schon über fünf Jahre dort unter Vertrag. „Und zwar durchaus auch Familienväter.“ Geschäftsführer Volker Homburg ist über die Hartz-Debatte erfreut: „Dann kriegt Zeitarbeit endlich eine Normalität“. Marktüblich heißt bei der Leiharbeit aber auch, dass es nicht immer passt. „Es gibt Menschen, die sind motiviert, aber sie halten dem Wettbewerb im Betrieb nicht stand“, formuliert ZIP-Geschäftsführer Homburg. Menschen die „zu gründlich“ sind, was am Markt „zu langsam“ heißt.

Mindestens die, die gehandicapt sind, werden weiterhin auf Beschäftigung in öffentlich finanzierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angewiesen sein, sagt Staatsrat Knigge. Aber nicht nur sie. Auch für Herrn und Frau Mustermann, um die 40 und händeringend auf Arbeitssuche, wird es eng bleiben, zumindest in den Regionen, die als „strukturschwach“ gelten. Hartz hat auch dafür Vorschläge: An die Einstellung Arbeitsloser sollen günstige Kredite gekoppelt werden, die den Betrieben das Einstellen erleichtern. Doch auch das wird nicht reichen. Das Hartz-Konzept setzt auf den ersten, den regulären Arbeitsmarkt. Wo der aber nicht ist, da hat der Kaiser sein Recht verloren. Und Hartz sowieso. Elke Heyduck