Zuschnittsnormen

Filme über Hermaphrodismus von Rotermund / Tolmein und Ilka Franzmann im Babylon Mitte

Die geschlechtliche Ordnung ist eine gewaltige und gewalttätige Fiktion. Nicht einmal mit vermeintlich eindeutigen Vorgaben, wie sie die Genetik liefert, lassen sich binäre Kategorien rechtfertigen. „Ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale“, so lautet der Personenstandsbefund kurz nach der Geburt eines „intersexuellen“ Wesens und löst damit eine Vielzahl von Überlegungen und Entscheidungen aus. Die Eltern sind unsicher und bestürzt, die Ärzte treten dazwischen, und so bildet sich ein scheinbar informelles Kartell, das nur „das Beste“ will und das Kind also einer Korrektur, Verstümmelung, im Grunde einer Geschlechtsumwandlung unterzieht.

An der Intersexualität zeigt sich vor allem eines: Wie dominant diese Ordnungen (noch) sind, wie wenig die Traumatisierung berücksichtigt wird, die sich aus der gewaltsamen Zuschneidung des Geschlechts ergibt. Das ist auch die Ausgangslage der Dokus „Das verordnete Geschlecht“ von Oliver Tolmein und Bertram Rotermund und „Hermaphroditen – eindeutig zweideutig“ von Ilka Franzmann.

Die Autoren haben Gesprächspartner gefunden, deren Porträts dieser Traumatisierung ein eindrucksvolles Gesicht geben. Da ist es nicht erstaunlich, dass die Ärzte nicht so gut wegkommen. Sie werden als hartnäckige Normierungsschinder gezeigt wie in Franzmanns Film die französische Ärztin, die als Einzige ungebrochen für das Zurichten, Erziehen und Entscheiden eintritt. Oder bei Tolmein/Rotermund als beinahe schwachsinnige Spezialisten, die von Männchen und Weibchen sprechen, wenn sie an Plastikmodellen Geschlechtsteile hin- und herschieben.

Allerdings verharren vor allem Tolmein/Rotermund nicht beim tiefen Seufzer über die Untaten der Endokrinologie. Ihr Glück war es, sehr aufgeweckte und heitere Gesprächspartner zu finden, die für ein auch politisiertes Verhältnis zum eigenen Körper stehen. Mit Michel Reiter konnten die Autoren den Kampf um Anerkennung des geschlechtlichen Status verfolgen oder viele kühle Kommentare zu herrschenden medizinischen Verfahren abschöpfen: „Sie wollen einen vor allem fickfähig machen.“ In Reiters Fall wurde dieses Ziel aber verfehlt. Die Kohabitation scheitert bei ihm nicht nur an fehlender Lubrikation, sondern vor allem am nachhaltig gestörten Körpergefühl. Das Gegenteil ist bei Elisabeth Müller der Fall. Die nicht nur musikalische Stütze ihrer Kirchengemeinde wurde durch eine Gesangsausbildung in eine fast offensive Körperlichkeit gezwungen, einen uneingeschränkten, sozusagen ehrlichen Umgang mit Organen, Knochen und Muskeln. Dadurch wurde ihr nicht nur klar, dass sie männliche Körperteile wie den Hodenzugmuskel besitzt, sondern wie sie diesen nutzen kann.

Hier zeigt sich aber auch, dass die Linien von Verantwortung und Schuld nicht immer eindeutig verlaufen. In Müllers Fall waren es nicht Eltern und Ärzte – sie selbst entschied sich für die Operation, aus ganz pragmatischen Gründen. MANFRED HERMES