Schröder hält an seinem Blatt fest

Eine Woche vor der Wahl ist das Nein zum Irakkrieg der Trumpf der rot-grünen Regierung im Wahlkampf. Ist die Ablehnung mehr als reine Taktik?

„Wir haben eine Komplikation im deutsch-amerikani-schen Verhältnis“

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Eine Sorge sind die roten und grünen Abgeordneten los, als sie sich am Freitagmorgen zur letzten Sitzung des 14. Deutschen Bundestages einfinden: die ums Kaninchen. Von Woche zu Woche waren die Umfragen schlechter geworden, und Medien wie eigene Anhänger bedrängten das Regierungslager mit der Frage, ob sich denn so gar nichts mehr aus dem Hut zaubern lasse, um die Talfahrt umzukehren.

Eine Woche vor dem Wahlsonntag ist die Koalition aus dem Umfragentief heraus, hat in drei von vier Erhebungen die Gegner von Union und FDP sogar überrundet – und die Demoskopen glauben zu wissen, was die Rettung brachte: Gerhard Schröders kategorisches Nein zum Irakkrieg. Edmund Stoiber hat einen schweren Start, als er als erster Redner ans Pult tritt.

Wenn es je einen Zweifel gab an der Wirksamkeit des Themas Irak, die Debatte widerlegt sie. Gegen die Anti-Irakkrieg-Front der Koalition schafft es die Opposition kaum, eigene Themen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Auch der Kanzlerkandidat gibt nicht den Zampano. Von Wirtschaft bis Zuwanderung sagt er nichts Neues, und fast trotzig verteidigt ihn hinterher eine Mitarbeiterin: „Jetzt noch ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern, das wäre unseriös!“

So befasst sich der Bundestag in ungewohnter Breite für eine Haushaltsberatung mit der Außenpolitik – die Koalition begeistert, die Opposition notgedrungen. Der äußere Anlass liegt keine 24 Stunden zurück: die Rede von US-Präsident George Bush vor der UNO. „Niemand in Deutschland will Krieg, weder der Bundeskanzler noch ich, weder SPD noch CDU/CSU“, beteuert der Kanzlerkandidat. Die Redner von Stoiber bis Westerwelle richten darum ihre Anstrengung darauf, dem Kanzler und seinem Außenminister leichtfertigen Umgang mit einem schwerwiegenden Thema vorzuwerfen. Warum denn die beiden nicht endlich bei George W. Bush angerufen hätten, um ihre Bedenken vorzutragen, will der FDP-Vorsitzende wissen. „Vor einem Jahr haben Sie den Schulterschluss mit den USA bekräftigt“, ruft Stoiber Schröder zu, „heute machen Sie mit antiamerikanischer Stimmung Wahlkampf!“ Schröders Konter ist härter als üblich im Bundestag: „Sie wollen vielleicht Kanzler werden, aber Sie haben nicht die Fähigkeit.“

Am weitesten treibt Wolfgang Schäuble, der Außenpolitiker im Kompetenzteam, Stoibers Vorwurf. Er malt den Zuhörern im Plenum in drastischen Bildern eine rote Verschwörung aus. Als wäre er dabei gewesen, schildert der CDU-Politiker eine Sitzung des SPD-Präsidiums Anfang August. Da habe der Parteivorsitzende seinen überraschten Genossen eröffnet – und hier mimt Schäuble den Schröder –, „jetzt lenken wir von Arbeitslosigkeit und Wirtschaft ab, indem wir den Irak zum Wahlkampf machen“.

„Sie wollen vielleicht Kanzler werden, aber Sie haben nicht die Fähigkeit“

So krude Schäuble sein Szenario darbietet, so sehr berührt es doch den Kern der rot-grünen Position zum Irak: Meinen es Joschka Fischer und Gerhard Schröder ernst mit ihrem Nein zu einer deutschen Beteiligung? Wenn der Regierung in der letzten Woche vor der Wahl eine Gefahr droht, dann, dass dieser Zweifel unter den Wählern Allgemeingut wird. Abwegig ist das nicht. In der Presselandschaft ist seit Schröders Verkündung des „deutschen Wegs“ das Echo mehrheitlich skeptisch. Selbst Kommentatoren, die eine Beteiligung der Bundeswehr ablehnen, haben Schwierigkeiten, die plötzliche wie demonstrative Abkehr dieser Regierung von ihrem amerikanischen Verbündeten nachzuvollziehen. Nicht nur die Union hofft, von diesem Zweifel zu profitieren. PDS-Fraktionschef Roland Claus bringt es in seiner Rede auf die Formel: „Wer Stoiber nicht will und Schröder nicht traut, der muss PDS wählen.“

So schwer der Verdacht der Wankelmütigkeit auf der Koalition lastet, so sehr mühen sich ihre Vertreter, ihn zu entkräften. „Man darf die Kritik an Bush nicht gleichsetzen mit einer Refundamentalisierung der Außenpolitik“, sagt etwa der grüne Staatssekretär Matthias Berninger. Anders als von der Opposition behauptet, habe Schröder sich schon früh auf Grenzen deutschen Militärengagements festgelegt. Grundsätzliche Zustimmung bekundet auch der grüne Außenpolitiker Helmut Lippelt, der zuvor von einer Zeitung mit dem kritischen Satz zitiert wurde, Schröder sei erst zu weit rechts gewesen, im Irak stehe er aber zu weit links. Selbst Winfried Herrmann, als grüner Kriegs- wie Koalitionskritiker ausgewiesen, hält diesmal Schröder und Fischer die Stange: „Ich trau den beiden.“ So erinnern sich grüne Abgeordnete noch an einen Kanzlerbesuch in ihrer Fraktion kurz vor der Afghanistan-Abstimmung im letzten November. Dort wurde der Mann, der zu Risiken, aber nicht Abenteuern bereit war, gefragt, was denn ein solches Abenteuer sei. Schröders Antwort haben Berninger wie Herrmann gleichermaßen in Erinnerung: „Irak.“

Wie groß die Macht der Zweifel an ihrem Nein dennoch ist, müssen gestern auch der Kanzler und sein Vize gespürt haben. Beide legten die Bush-Rede so resolut pessimistisch aus, als wollten sie sich bei keiner Abweichung vom Kurs der Kritik ertappen lassen. Fischer rief: „Meine Sorgen sind nicht geringer geworden – überhaupt nicht!“ Schröder tat gar so, als müsse er den UNO-Sicherheitsrat vor dem Sicherheitsratsmitglied USA in Schutz nehmen: Es werde „nicht einfach“ sein, die alleinige Entscheidungsgewalt des höchsten UNO-Gremiums durchzusetzen. Wie sagte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) am Vorabend im WDR so schön: „Wir haben eine Komplikation im deutsch-amerikanischen Verhältnis.“