Ein hanseatischer Sozialdemokrat

Volker Kröning tritt im Wahlkreis Bremen-Stadt für die SPD an. Für die Bremer war er nicht immer ein bequemer Genosse, in Berlin genießt er Respekt über Parteigrenzen hinweg. Mit der PDS schließt Kröning jede Zusammenarbeit auf Bundesebene aus: die sei „außen- und innenpolitisch haltlos“

Für Bremen, sagt Kröning, könne es nur mit der rot-grünen Koalition weitergehen, die „Norddeutschland gewogen“ sei

Ein Radler auf der Kaisen-Brücke. Kerzengerade sitzt er im Sattel, seinen Regenschirm aufgespannt. „Es regnet gar nicht mehr, Herr Kröning“, ruft eine Passantin. „Danke“, antwortet er, klappt den Schirm zusammen und strampelt unverdrossen weiter, zur nächsten Wahlkampfveranstaltung.

Volker Kröning hat drei Fahrräder: Eines zuhause in Osterholz, eines bei seiner Kanzlei in der Baumwollbörse und ein drittes in Berlin, für die Sitzungswochen. Der Sozialdemokrat gehört im Bundestag zum Establishment, kandidiert gerade für seine dritte Amtszeit. „F+V“ nennt er seine Schwerpunktthemen, Finanzen und Verteidigung – traditionelle Domänen des rechten SPD-Parteiflügels, zu dem er sich aber nicht zählen lassen will. Wenn man ihn in eine Tradition mit Helmut Schmidt stellt, erzählt er, wie er als 16-Jähriger 30 Kilometer über Land radelte, nur um Willy Brandt zu sehen. „Ich bin ein liberaler Sozialdemokrat“, sagt er, ein konservativer nicht.

Schon als 21-jähriger Jurastudent wollte Volker Kröning in die SPD eintreten. Aber dann kam die Große Koalition, und das Parteibuch wanderte für drei Jahre in die Schublade – ohne Unterschrift. „Ich wollte, dass der CDU-Staat abgelöst wird.“ Heute sieht er, dass in der Großen Koalition die Grundlagen für Brandts spätere Ost- und Reformpolitik gelegt wurden. Dennoch, große Koalitionen sind für Kröning nur im Notfall legitim. Und den sieht er auf Bundesebene derzeit nicht gegeben. Andererseits schließt Kröning jede Zusammenarbeit mit der PDS im Bundestag aus. „Das ist mit mir nicht zu machen“, legt er sich fest, die PDS sei „außen- und innenpolitisch haltlos“. Und wenn das nur gemeinsam mit der CDU zu verhindern wäre? „Ich kämpfe um jede einzelne Stimme“, sagt Kröning sibyllinisch und verzieht den linken Mundwinkel zu einem halben Grinsen.

Kröning fehlt der sozialdemokratische Stallgeruch aus den Niederungen der Ortsvereine. Vom Habitus geht er locker als Spross der hanseatischen Aristokratie durch. Sogar der Name scheint zu passen. Aber seine Eltern stammen aus Schlesien, er wurde 1945 auf der Flucht in Sachsen geboren. Nach Bremen kam er als Referendar, um die Juristenausbildung an der frisch gegründeten Universität zu reformieren. Ein Projekt, das zu seinem Ärger nach zehn Jahren stecken blieb. Ähnlich erging es seiner Initiative als Bremer Justizsenator, den Schutz der Umwelt vor dem Menschen auch in die Schrankentrias in Grundgesetz-Artikel 2 aufzunehmen. „Das hat Henning Scherf danach leider fallen lassen.“

Kröning bedauert heute, dass die Chance zu einer echten Verfassungsreform nach der deutschen Wiedervereinigung verpasst wurde. Das Volk hätte darüber abstimmen sollen, aber das ist ihm erst später durch die Probleme mit der „inneren Einheit“ klar geworden. Inzwischen ist er ein Verfechter von mehr direkter Demokratie geworden, auch auf Bundesebene: „Die repräsentative Demokratie steckt derartig im Schwitzkasten von Bürokratie auf der einen und Globalisierung auf der anderen Seite, dass wir die Repolitisierung nicht allein den Berufspolitikern überlassen können.“ „Nur“ Berufspolitiker, das wollte Kröning nie sein.

Einen „Zehn-Prozent-Job“ macht er trotz Abgeordnetenmandat in einer Anwaltssozietät, um seine „Unabhängigkeit zu erhalten“. Nebenher schreibt er Aufsätze zur Finanz- und Verteidigungspolitik. Wann? „Meine drei Kinder sind ja groß, da kann ich mir die Zeit frei einteilen.“ In seiner Zeit als Senator in Bremen war daran nicht zu denken. Unter Hans Koschnick war Kröning Innensenator. Sein parteiinterner Konkurrent um das Bürgermeisteramt Klaus Wedemeier schob ihn ab, gab ihm die Ressorts Justiz und Sport, die Kröning strikt getrennt ausübte: morgens Justiz, nachmittags Sport. In der Ampelkoalition schließlich bekleidete er das Amt des Finanzsenators, bis er es Wedemeier 1994 vor die Füße warf. Das Fachgebiet nahm er damals mit nach Bonn, ist als Finanzexperte auch von politischen Konkurrenten respektiert.

Mit seinem zweiten Schwerpunkt, der Verteidigungspolitik, macht er sich in der eigenen Partei nicht nur Freunde. Seine Kritik an Rudolf Scharping zum Beispiel kleidet er in den vornehmen Satz: „Ich bedaure, dass wir die Bundeswehrreform nur knapp auf der Haben-Seite verbuchen können.“ Wenn ihm wegen seines Engagements für Bremer Rüstungsbetriebe mal wieder die Konversions-Verfechter innerhalb und außerhalb der SPD zusetzen, antwortet er nüchtern: „Der irdische Frieden ist leider noch nicht ausgebrochen.“ In die militaristische Ecke lässt er sich nicht stellen: Nicht ohne Stolz heftet er sich die Abschaffung von Anti-Personen-Minen bei der Bundeswehr ans Revers.

Für Bremen, sagt der 57-Jährige, könne es nur mit der rot-grünen Koalition weitergehen, die „Norddeutschland gewogen“ sei und dem Zwei-Städte-Staat weiter dabei helfe, die Haushaltsnotlage zu überwinden. Neue Transferzahlungen in den Bremer Haushalt hält Kröning allerdings in Bundestag und Bundesrat für kaum durchsetzbar. Statt dessen will er für starke Investitionen des Bundes in die Infrastruktur des Landes und der Region werben. Dann hält er auch ein Gelingen der Sanierung für möglich und damit den Erhalt des kleinsten Bundeslandes, dem er sich nach wie vor verpflichtet fühlt. Davon zeugt ein vergilbtes Blatt Papier, das hinter Glas in seinem Büro hängt: Ein Artikel, in dem Bürgermeister Wilhelm Kaisen 1946 vor den „Begehrlichkeiten aus Hannover“ warnte.

Jan Kahlcke