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: Muss ein Tabellenführertrainer notgedrungen mehr Ahnung von Fußball haben als Lattek, Breitner oder Sie?

Hätte, wäre, wenn

Hätte im Mai der FSV Mainz nicht vor Aufregung sein letztes Saisonspiel verloren, dann hätte es in der Bundesliga 2002/2003 nie einen Tabellenführer VfL Bochum gegeben. Es hätte überhaupt keinen VfL in der Bundesliga gegeben. Und keinen schnauzbärtigen Gute-Laune-Trainer unter Griesgramen und Distinguierten. So fügen sich im Fußball Verkettungen von Zufällen und Wirkungen.

Nun also hüpft überall munter der Peter Neururer herum; mal entblößt er beim Aufstieg einen sagenhaft blassen Oberkörpers – so was bieten einem Sammers und Hitzfelds nie. Dann gibt er Fernanalysen zum besten. Deren schöner Erkenntniswert: ein Tabellenführertrainer muss von Fußball wohl auch nicht mehr Ahnung haben als ein Lattek, der Breitner und ich.

Jüngst hat Neururer die Transferpolitik eines Mitaufsteigers betrachtet. Dass Hannover 96 nach null Punkten aus drei Spielen fünf neue Spieler verpflichtete, befand er eine „bedenkliche Maßnahme“, die „Unruhe ins Haus“ bringe. Nachdem dem Zweitligameister auch Partie Nummer vier verloren ging, stand fest: „In Hannover wird es jetzt ganz ungemütlich.“

Inzwischen weiß man: Hier irrte Peter Neururer. Partie Nummer fünf gewann Hannover mit 3:1 in Leverkusen. Einer der Neuen, Fredi Bobic, schoss zwei Tore. Jeder Depp ist hinterher schlauer. In Hannover aber wussten sie immer, dass sie besser waren, als es im Schlusslicht aussah. Die Fans sangen selbst, als man in Leverkusen in Rückstand geriet, sie seien stolz auf ihr Team. Das war ernst gemeint. Ebenso wie Fredi Bobic’ drei Tage zuvor getroffenes Bekenntnis, es habe Spaß gemacht, in dieser Mannschaft zu spielen. Gerade hatte Hannover gegen Cottbus verloren.

Ralf Rangnick, der Trainer, versuchte es derweil mit Fußballmathematik: „Mit jedem Spiel, das du nicht gewinnst, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass du wieder eines gewinnst.“ Logisch betrachtet ist diese These gewagt. Fußballfakt ist: Noch hat kein Bundesligist je eine Saison ohne Punktgewinn erlebt, nicht mal Tasmania.

Hannover ist den Makel des Nichts nun los, weshalb Rangnick erklärte: „Totgesagte leben länger.“ Das ist nicht originell, aber Fußballwahrheit ist selten geistreich, sondern oft ein sentimental umrankter Erfahrungswert. Womöglich hat die Zeit als Rote Laterne Hannover nun nichts als ein paar hilfreiche Zugänge beschert. So könnte später aller schlechter Start noch Sinn machen. Sicher ist: Sonnabend kommt Bochum zu 96. Gelegenheit für Neururer, sich in Nahanalyse von Gemütlichkeitsfaktoren zu versuchen.

KATRIN WEBER-KLÜVER