Mannesmann: Warum Klaus Esser aufgab

Die Mannesmann-Übernahme durch Vodafone war die größte Abwehrschlacht aller Zeiten – heißt es bisher. Doch Mannesmann-Boss Klaus Esser schlug zwei Möglichkeiten aus, seine Firma zu retten. Der Grund: 60 Millionen Mark

KÖLN taz ■ In den nächsten Tagen entscheiden Staatsanwälte in Düsseldorf, ob sie gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Mannesmann AG, Klaus Esser, Anklage wegen Untreue erheben. Die Ermittlungen gegen ihn und zehn weitere Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat kreisen um Erfolgsprämien und Abfindungssummen in Höhe von über 200 Millionen DM. Allein Klaus Esser erhielt über 60 Millionen. Der Vorstandschef erhielt die Riesensumme auf Veranlassung eines Mannes, der in den Ermittlungen bisher keine Rolle gespielt hat: Li Ka Shing, Hongkong-Chinese und Chef von Hutchison Whampooa, einem weltweit verzweigten Unternehmen, das nur ein Ziel hat: Geld. Als am 3. Februar 2000 Klaus Esser und Vodafone-Chef, Chris Gent, per Handschlag die Übernahme von Mannesmann besiegeln, ist Li Ka Shing um 10 Milliarden Mark reicher – sein zweiter Coup in drei Monaten.

Im November 1999 kauft Mannesmann die britische Telefongesellschaft Orange, schärfster Konkurrent von Vodafone auf dem britischen Markt. Zu der Zeit ist Orange zu 44 Prozent in Besitz von Li Ka Shing. In Absprache mit Esser tauscht er seine Orange-Aktien in Mannesmann-Papiere und macht 11 Milliarden Mark Gewinn. Li Ka Shing ist jetzt größter und einflussreichster Mannesmann-Aktionär. Klaus Esser aber hat mit dem Orange-Kauf eine Spielregel verletzt. Einen solchen Deal kündigt man an, auch dem Konkurrenten. Vodafone-Chef Gent ist sauer und bläst zum Angriff.

Vier Wochen später liegt das erste Übernahmeangebot vor, und nun beginnt, was seitdem als größte Abwehrschlacht aller Zeiten gilt. Aber ist sie das wirklich? Esser bespricht sich zu jeder Zeit mit seinem frisch gebackenen Großaktionär, und der freut sich von Tag zu Tag mehr über den steigenden Kurs der Mannesmann-Aktie. Li Ka Shing geht es nur noch um die Frage, wann er die Aktien zum höchsten Kurs verkaufen kann. Für Vodafone dagegen wird der Deal von Tag zu Tag teurer.

Ende Januar 2000 geht es in die entscheidende Phase. Jetzt macht Esser nichts mehr ohne Absprache mit Hutchison Whampoa. Li Ka Shing schickt seine rechte Hand, den Managing Director Canning Fok, an den Rhein. In einer Suite des Steigenberger hält er den Kontakt zwischen seinem Chef in Hongkong und Esser im Mannesmann-Hochhaus. Für die Beobachter sieht alles so aus, als wehre sich der Mannesmann-Chef gegen die drohende Übernahme durch Vodafone.

Ende Januar hätte Esser zum endgültigen Schlag gegen Vodafone ausholen können. Unter dem Decknamen „Millennium“ ist in Paris die Fusion mit dem französischen Medienunternehmen Vivendi vorbereitet worden. Die Verträge liegen zur Unterschrift bereit. Das hätte das vorzeitige Scheitern der Übernahme bedeutet. Denn ein gemeinschaftliches Unternehmen Mannesmann-Vivendi ist für Vodafone zu teuer. Doch statt zu unterschreiben, fordert Esser plötzlich neue Verhandlungen über den Vorstand im gemeinsamen Unternehmen. Esser will eine Stimme mehr und damit die Kontrolle. Jean-Marie Messier, Chef von Vivendi, fühlt sich von Esser verraten. Die Fusion kommt nicht zustande.

Am 3. Februar ist Chris Gent mit seinem Firmenjet unterwegs nach Düsseldorf. Noch während das Flugzeug in der Luft ist, erhält Klaus Esser einen Anruf aus New York. Steve Case, Chef von AOL, bietet Esser eine Möglichkeit, mit der er sich Vodafone vom Hals schaffen kann: einen Fusionsvertrag mit AOL und damit Marktführung im Bereich Internet und Telekommunikation. Esser aber winkt ab.

Noch am selben Tag sitzen Esser und Gent zusammen im 21. Stock des Mannesmann-Hochhauses. Im Büro nebenan wartet Canning Fok. Ihn hat es nicht mehr in seiner Hotelsuite gehalten. Irgendwann klopft der Chinese an die Tür und bittet Klaus Esser heraus. Li Ka Shing lässt mitteilen, dass er ihm eine Prämie von 30 Millionen Mark zukommen lassen wolle. An diesem Abend stimmt Esser der Übernahme durch Vodafone zu, und aus den 30 werden später 60 Millionen. Esser hat Li Ka Shing zum Deal seines Lebens verholfen. Weil er aufgegeben hat, kann Li sein Aktienpaket verkaufen. Er tut es und macht einen Bargewinn von über 10 Milliarden Mark. Hätte Esser aber die Übernahme verhindert, wäre die Aktienbindungsklausel wirksam geworden. Der Chinese hätte erst zu einem Zeitpunkt verkaufen können, zu dem das künstlich aufgeblasene Kursgebilde längst wieder verflüchtigt war. Einer wie Li Ka Shing ahnt so etwas.

KLAUS MARTENS

Mehr zu der lukrativen Verbindung zwischen Klaus Esser und Li Ka Shing erzählt WDR-Autor Klaus Martens heute um 22:30 Uhr unter dem Titel „Der unsichtbare Dritte“ im WDR-Fernsehen.