Der „zwanzigste Attentäter“

Ramsi Binalshibh gilt als möglicher Schlüssel zur Aufklärung der Anschläge vom 11. September

Der 30-jährige Ramsi Binalshibh gilt als das einzige lebende Al-Qaida-Mitglied, das an beiden mutmaßlichen Vorbereitungstreffen für die Anschläge vom 11. September teilgenommen haben soll: im Januar 2000 in Malaysia und im Juli 2001 in Spanien. Binalshibh, der neben dem im März ebenfalls in Pakistan gefassten Abu Subaidah das höchste gefangene mutmaßliche Al-Quaida-Mitglied ist, könnte der Schlüssel zur Aufklärung sein – wenn er aussagt.

Mit dem mutmaßlichen Todespiloten und Führer der Hamburger Al-Qaida-Zelle, Mohammad Atta, wohnte Binalshibh in der Marienstraße 54 im Stadtteil Harburg. Die beiden sollen sich 1997 in Hamburg kennengelernt haben. Eigentlich sollte Binalshibh selbst zu den Attentätern gehören und eine Pilotenausbildung in den USA absolvieren. Doch die US-Behörden lehnten im Jahr 2000 viermal ein Visum für den Jemeniten ab. Binalshibh soll dann von Zacarias Moussaoui ersetzt worden sein. Doch der marrokanischstämmige Franzose wurde im August 2001 verhaftet, nachdem er in einer US-Flugschule Verdacht erregte. Binalshibh wurde zum Koordinator, er soll sich um die Logistik der Zelle gekümmert haben. So soll er Moussaoui und dem auch zur Hamburger Zelle gehörenden Attentäter Marwan al-Shehhi Geld überwiesen haben.

In einem vergangene Woche ausgestrahlten Interview mit dem arabischen Sender al-Dschasira bezichtigte sich Binalshibh selbst, ein Planer der Anschläge gewesen zu sein. Sie seien seit 1999 vorbereitet worden, wobei es mehr Freiwillige gegeben haben soll, als benötigt wurden. Weil er der „20. Mann“ der Flugzeugentführer hätte sein sollen, habe es ihn schwer enttäuscht, dass er kein US-Visum bekommen habe. Binalshibh beschrieb sich auch als Kontaktperson zu Bin Laden. Er räumte ein, dass er und andere Mitglieder der Hamburger Zelle 1999 ins afghanische Kandahar reisten, um dort zu trainieren.

Nach US-Angaben ist Binalshibh auf einem Video mit „Märtyrerstatements“ zu sehen, das im Haus des mutmaßlichen Al-Qaida-Militärchefs Mohammed Atef in Afghanistan gefunden wurde. Er starb bei einem US-Bombenangriff.

Ende August 2001 tauchte Binalshibh in Pakistan unter. Er wird von den Ermittlungsbehörden auch in Verbindung gebracht mit dem Anschlag auf die „USS Cole“ im Hafen von Aden im Jahr 2000, bei dem 17 Seeleute starben, und mit dem Anschlag auf die Synagoge im tunesischen Dscherba vom April 2002 mit 19 Toten. In dem vom Generalbundesanwalt am 21. September 2001 ausgestellen internationalen Haftbefehl wird ihm mehrtausenfacher Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zur Last gelegt.

Binalshibh stammt aus der Provinz Hadramaut im Jemen. 1995 beantragte er in Hamburg politisches Asyl, wobei er sich als Flüchtling aus dem Sudan ausgegeben haben soll. Als der Antrag 1997 abgelehnt wurde, hatte er ein Studentenvisum. Den Deutschkurs am Studienkolleg brach er jedoch ab. 1998 zog er mit Atta und dem ebenfalls gesuchten Said Bahaji zusammen. SVEN HANSEN