Besuch aus Amadeu-Land

Drei Wochen lang besuchen Jugendliche aus Angola das brandenburgische Eberswalde. Hier starb vor 12 Jahren Amadeu Kiowa. Einige Begegnungen

„Weißt du eigentlich, was für ein Glück du hast?“ – „Na ja, ick steh nich gern früh uff.“

„Zuerst hatte ich Angst und war schockiert von ihrem Aussehen und dass sie so viel trinken“, sagt Adelina do Carmo. Auch wenn Punks ein großes Haus hätten und reich wären – heiraten würde die 17-Jährige aus Afrika niemals einen. Drei Wochen Deutschland, drei Wochen Eberswalde. Das Treffen zwischen der angolanischen Schülergruppe und den jungen Brandenburgern organisierten die Betreiber des Jugendklubs Exil. Seit vier Jahren schon unterstützt der Club ein Bildungsprojekt für Straßenkinder der methodistischen Kirche Angolas mit Spenden.

„Hier verhungert zwar niemand, aber es gibt soziale Brennpunkte“, sagt Marian Schwarz von der Arbeitsgemeinschaft „Multikulturelle Interessen“ des Clubs. Um den neun Gästen aus Luanda das zu erklären, gibt es unter anderem Gespräche mit Punks und Schulschwänzern.

„Dit is Protest“, antwortet Micha auf die Frage, warum seine Haare so bunt sind. Die angolanischen Besucher wissen nicht, was das ist, ein Punk. Der 25-Jährige mit dem Irokesen muss das erklären. Gleichstellung aller Menschen und so. Sieht er Chancen auf Durchsetzung seiner Vorstellungen? Micha schüttelt den Kopf. „Punks müssen mal kapieren, dass sie ihren Protest ändern müssen, um etwas zu bewirken“ findet die 15-jährige Rosa Makiemba António Manuel nach dem Gespräch. Die anderen sehen das auch so. Das Gespräch unter Schülern im Gymnasium Finow endet für manche überraschend. So ist die mitgereiste angolanische Betreuerin Rita Maria Curimenha schlichtweg empört. „Millionen von Kindern wollen in Afrika lernen und können es nicht, weil der Krieg Schulen zerstört hat. – Weißt du eigentlich, was für ein Glück du hast?“, fragt sie. „Ja … Ick steh nich gern früh uff“, entgegnet Christian kleinlaut. Der 16-Jährige schwänzt gelegentlich die Schule. Dafür haben die afrikanischen Jugendlichen wenig Verständnis. In Angola würden Kinder nach einem kilometerlangen Fußweg mit Hunger den Unterricht besuchen, erzählt einer von ihnen.

Im voriges Jahr reisten Eberswalder AG-Mitglieder zum ersten Mal in Angolas Hauptstadt. Dieses Jahr erfolgte der Gegenbesuch. Denn an der Kleinstadt haftet ein schlechter Ruf. Ein brauner Ruf. Vor den Augen von Polizisten schlug und trat eine Horde Rechtsextremer 1990 auf den jungen Amadeu Antonio Kiowa so stark ein, dass der Angolaner wenige Tage später verstarb. Zehn Jahre später schubste der hakenkreuz tätowierte Mike B. den Punk Falko Lüdtke nach einer Schlägerei vor ein Taxi.

Seit Jahren schon bemüht sich die Stadt, ihr Image aufzupolieren. Bürgermeister Reinhard Schulz spendete etwas Geld für die afrikanischen Gäste und stellte zwei Kleinbusse zur Verfügung. Doch einen Tag vor Ankunft der Gruppe sagte er den Gesprächstermin ab. Zu persönlichem Kontakt mit den Schülern konnte sich Schulz nicht durchringen. Anders die jungen Eberswalder selbst. „Die Schüler sind ganz verrückt auf die Gruppe“, sagt Carola Kluger, Lehrerin und Projektleiterin. Immer mehr Klassen wollten einen Tag mit ihnen verbringen. Eltern fragten an, welche Hilfe noch gebraucht würde.

„Bei einem Stadtausflug wurde ich von zwei Männern angesprochen, ob das die Gruppe sei, die in der Zeitung stand, und wie es ihr gehe“, erzählt Kluger. Zwei Zwischenfälle gab es aber doch. „Zwei junge Frauen starrten ein angolanisches Mädchen an. Eine sagte immer wieder, dass ihr die Hand gleich ausrutschen würde.“ Als sie den Rest der Gruppe sah, sagte sie nichts mehr und verschwand. „Sind wir hier in Afrika oder was“, pöbelte ein älterer Mann, als die Gruppe in einer Drogerie einkauft. „Nein, in Eberswalde“, entgegnete wütend eine 18-jährige Schülerin, aber der Mann reagierte nicht. Reflexe. „Viel Schönes gäbe es noch zu berichten“, resümiert die Amtsleiterin für Schulen und Kindertagesstätten mit monotoner Lesestimme. SchülerInnen dösen vor sich hin, als die offiziellen Schlussworte vorgetragen werden. Heute geht es zurück in die angolanische Welt. ANJA WORM