muttermale in der toskana von FRANK SCHÄFER
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Wer sich partout nicht still zu beschäftigen weiß in der warmen Jahreszeit, der kann zum Beispiel in die Toskana fahren. Ich war gerade da, spreche insofern aus vierzehntägiger Erfahrung. Und „Erfahrungen“, so sagte ein schlapphütiger Tischnachbar, den ich nicht gefragt hatte, der aber ebenfalls zum Schwitzen nach Siena gekommen war und hier auf dem Marktplatz reichlich Erfahrungen sammeln durfte, „sind ja schließlich dazu da, dass man sie macht“. Da ist was dran, denkt man zuerst, aber schon beim zweiten Schluck Cappuccino, man soll ja was Warmes trinken bei großer Hitze, das löscht viel eher den Durst, stellt es sich doch als großer Quatsch heraus. Über schlechte Erfahrungen kann man lesen oder auch einen Film ansehen, aber man muss sie nicht gleich selbst machen wollen. Und bei großer Hitze trinkt man ein Bier oder ein eisgekühltes Fruchtsaft-Wasser-Gemisch, oder gleich gar nichts.

Der thüringische Schlapphut, der mit Frau und zwei Kindern angereist war, entlarvte sich dann auch bald selbst als vielleicht nicht ganz so wacher, seiner Kopfbedeckung gemäßer Zeitgenosse. Beim Studieren der dreisprachigen, also auch deutschen Speisekarte kam er ins Schwimmen: „Du, Mäusl! Was heißt’n nochmal al dente?“ – „Hatt!“ – „Hatt?“ – „ … so knusprig halt!“ – „Aaaah …“

Nein, ich hätte das lieber gelesen, glaube ich, war aber nun einmal selbst zugegen, man könnte sogar sagen: live dabei, und sah deshalb auch, wie der kleinere Sohn dieses Weltbürgers jetzt aus Langeweile mit dem San Pellegrino zu spielen anfing und, als er die Flasche zum dritten Mal umgeschmissen hatte, von seinen Eltern kurzerhand um den nahen Brunnen gescheucht wurde. Und zwar auf Zeit! Offensichtlich sollte er Dampf ablassen, auf dass er hernach Ruhe gebe. Keine schlechte Idee, die auf meine volle Zustimmung gestoßen wäre – nur versuchte die Restfamilie jetzt durch Sportgeist zu bezaubern. Vor allem der große Bruder wusste bei der Anfeuerung des kleinen Ben Hur mit einem Organ zu beeindrucken, für das sich Harry Rowohlt rasiert hätte. Dreimal. Viermal. Fünfmal musste das Kind die Kehre machen. „Das geht doch noch schneller!“ – „Erster Platz für Toby Schmidtke!“ Dann aber doch das erlösende Einlenken der Mutter, die vielleicht die Kräfte ihres jüngsten Sprosses am ehesten einzuschätzen respektive in den kleinen irren Äuglein am besten zu lesen wusste und ihn nun zurück an den Tisch komplimentierte: „So, das war jetzt aber die schnellste Runde, wo du bisher gelaufen bist …“ Das sah ich anders, hütete mich aber zu widersprechen.

Und es wirkte. Der kleine Schmidtke schmiss nur noch einmal die San-Pellegrino-Flasche um und erstaunte anschließend die Umsitzenden mit irrwitzig oft wiederholten Fast-Forward-Varianten des alten Kalauers „Ich hatte mal ein Muttermal, das hatte meine Mutter mal“. Danach ging es auch schon „heim“. Hoffentlich zurück nach Thüringen.

Da sehen Sie mal, all das ist Ihnen jetzt erspart geblieben, weil Sie lesen können! Danke schön. Bitte schön. Alles muss man selber schreiben …