Mannschaft der dritten Art

Auf der Insel hat Arsenal London die Fußball-Hierarchie neu geordnet, in der Champions League ist dies noch nicht gelungen. Heute soll gegen Borussia Dortmund ein neuer Versuch gestartet werden

aus London RAPHAEL HONIGSTEIN

In Science-Fiction-Thrillern begegnet man oft braven Polizisten oder einfältigen Generälen, die viel zu spät merken, dass die Erde gerade von Außerirdischen überrannt wird. Auch Charlton Athletics sonst so besonnener Trainer Alan Curbishley schien bei der 0:3-Niederlage am Samstag gegen Arsenal eine unheimliche Begegnung der dritten Art gemacht zu haben. „Wir hatten nicht den Hauch einer Chance“, seufzte er. „Manchmal merkst du, dass du es hier mit etwas ganz anderem zu tun hast.“

Arsène Wenger hört so etwas gern. Der Franzose am Schaltpult des Raumschiffs Arsenal sieht sich nach dem vierten Sieg im sechsten Spiel zunehmend in seiner These bestätigt, dass sich mit dem Gewinn des Doubles im letzten Jahr die Machtverhältnisse im englischen Fußball dauerhaft zugunsten der Londoner verschoben haben. Während Lieblingsfeind Alex Ferguson in den Niederungen der Tabelle mit dem Untergang der United-Dynastie konfrontiert wird, schießen die eigenen Kanoniere die Konkurrenz aus luftiger Höhe scheinbar mühelos in Grund und Boden. Der Sieg im Londoner Derby bedeutete gleich zwei neue Liga-Rekorde: Arsenal ist jetzt seit 27 Spielen hintereinander ungeschlagen und hat noch dazu in 45 Partien in Folge mindestens ein Tor erzielt.

Auf der Insel ist zurzeit weit und breit kein ebenbürtiger Gegner zu erkennen, doch um im Kreis der ganz Großen anzukommen, muss Wenger auch in der Champions League endlich Erfolg haben – ähnlich wie der heutige Gegner Borussia Dortmund (20.45 Uhr) haben die Londoner in Europa nach eigenem Selbstverständnis in den letzten Jahren viel zu wenig erreicht. Seit man nach Gastauftritten im Wembley-Stadion wieder in Highbury spielt, ist man zu Hause ungeschlagen, doch eine unerklärliche Auswärtsschwäche bringt Arsenal in schöner Regelmäßigkeit zu Fall. Gegen die Reservemannschaft von Juventus Turin kassierte man im vergangenen Frühjahr die neunte Pleite in elf Spielen auf Gegners Platz; in der Zwischenrunde war somit mal wieder Schluss mit der Tour durch den Kontinent.

Wenger hat den Sieg in der Königsklasse als großes Ziel für diese Saison ausgegeben, jedoch bestritten, deswegen die Premier League zu vernächlässigen: „Es hat keinen Sinn, sich nur auf Europa zu konzentrieren. Wenn man im eigenen Land nicht gut ist, kann man auch in der Champions League nicht bestehen“, glaubt er. Orientiert man sich an der Liga-Form der Gunners, müssten seine Männer zu den absoluten Top-Favoriten zählen. Die Abteilung Attacke – Superstar Henry, Altmeister Bergkamp und der enorm verbesserte Wiltord – sucht mit ihrem raumgreifenden Direktspiel derzeit ihresgleichen und droht nach der baldigen Rückkehr der verletzten Robert Pires und Freddy Ljundberg sogar noch stärker zu werden. Dahinter bilden Weltmeister Gilberto Silva, der 4,5 Millionen-Pfund-Neuzugang von Atletico Mineiro, und Patrick Vieira ein extrem solides Duo im zentralen Mittelfeld. Der Franzose klagte zuletzt zwar über chronische Schmerzen, zu viele Spiele und Müdigkeit; „wie gekocht“ würde er sich fühlen, seiner Leistung aber hat das bisher keinen Abbruch getan hat. „Wenn er das ganze Jahr so müde ist, bin ich sehr zufrieden“, scherzt Wenger.

Alles zusammen sind das nicht die besten Aussichten für Dortmund, doch ein Blick auf Arsenals Abwehr lässt wenigstens ein Rest an Hoffnung: David Seaman, ab übermorgen 39, hat sich nach seiner desaströsen WM zum Glück für die Konkurrenz doch noch zum Weitermachen entschieden und in der noch jungen Saison auch schon wieder zwei Patzer zu verantworten. Vor ihm verteidigen neben Sol Campbell die nicht mehr ganz taufrischen Martin Keown, 36, und Oleg Luzhny, 34, anstatt Pascal Cygan, Neuzugang vom OSC Lille – bestimmt kein Kompliment für den 28-jährigen Franzosen. Außenverteidiger Ashley Cole ist zwar schnell, aber immer für einen Stellungsfehler gut.

So wird Arsenal wohl auch in Europa einige Gegner mit seinem nahtlosen Kombinationsspiel in die Enge zwingen, aber den Europapokal kann man mit so einer Defensive eigentlich nicht gewinnen. Arsène Wenger wird sich an dieser Sicht der Dinge nicht allzu sehr stören. Das Gleiche sagt man man ja auch über Real Madrid jedes Jahr.