„Ist was drin oder nicht?“


„Ich sehe überhaupt keine Ampel. Ich will auch keine. Ich will nur Rot-Grün“„Wir brauchen keine Gentechnik, um das Hungerproblem zu bekämpfen“

Interview HANNES KOCH
und REINER METZGER

taz: Frau Künast, seit gut anderthalb Jahren sind Sie nun Hassobjekt des Deutschen Bauernverbandes. Mussten Sie in eine neue Wohnung samt Wachschutz ziehen, damit erboste Landwirte Sie nicht mit Kartoffeln bewerfen?

Renate Künast: Meiner Erfahrung nach werfen deutsche Bauern nicht mit Lebensmitteln. Ich wohne in Berlin da, wo ich immer gewohnt habe. Natürlich mit gewissen Sicherheitsvorkehrungen. Das Problem ist eher, dass ich kaum Zeit habe, dort zu sein. Vielleicht wird das ja besser nach dem Wahlkampf.

Ist die Wahl schon gewonnen, angesichts der Umfragen?

Ich sehe da noch keinen Grund zum Jubel. Der Stoiber hängt zwar weiter seiner Neigung zum Nekrophilen nach. Immer nur negativ, negativ – das funktioniert ja auf Dauer nicht. Aber trotzdem: Der Wahlkampf geht bis zum 22. September, 18 Uhr. Danach haben wir dann wieder eine rot-grüne Regierung, an der rumkritteln kann, wer Spaß daran hat.

Wo sehen Sie Schwachstellen in Ihrer Bilanz der Zeit seit Januar 2001?

Wir haben am Anfang unter Turbostress gestanden. Weil wir schon wussten, die Erwartungshaltung ist enorm groß. Und die meisten Sachen – wie etwa ein neues Bundesamt für Verbraucherschutz schaffen – erfordern einen enormen Abstimmungsaufwand mit allen möglichen Ebenen. Da haben wir schon im vergangenen Sommer errechnet: Wir müssen uns enorm sputen, um zum Beispiel das Amt überhaupt noch in dieser Legislaturperiode durch den Bundestag zu kriegen. Wenn wir dann vier Jahre vor uns haben, ist das Terminkorsett nicht mehr ganz so eng. Dann könnte ich mir sogar vorstellen, hin und wieder ein freies Wochenende zu haben.

Das vergangene Wochenende verbrachten Sie auf der nationalen Flusskonferenz. Fünf Bundesminister sagten das Erwartbare zum Hochwasser. Eine sinnvolle Art, knappe Zeit zu verbringen?

Erstens stehen die Baumaßnahmen jetzt unter Prüfvorbehalt. Zweitens hat das Hochwasser eine Menge Fragen neu aufgeworfen von der Lage der Deiche bis zur Bewirtschaftung der Böden. Da gibt es allerhand gute Ansätze, die ich zum Beispiel auf der letzten Agrarministerkonferenz mit den Bundesländern vereinbart habe. Aber jetzt müssen diejenigen in Ländern und Gemeinden, die das tatsächlich umsetzen sollen, auch den nächsten Kick kriegen. Da sind ja ungeheure Lobbyprozesse am Werk. Wer direkt am Fluss attraktive Wohngebiete ausweisen möchte, hat andere Interessen als der, der diese Flächen für den Hochwasserschutz vorhalten will. Nachhaltiger Hochwasserschutz kann aber nur gelingen, wenn alle mitmachen. Und das muss jetzt organisiert werden.

Also jede Katastrophe nutzen, wenn sie denn schon da ist?

War das nicht immer so im Umweltschutz? Die Leute trennen vielleicht ihren Müll mit Begeisterung. Aber wenn ich im Agraretat Millionenbeträge umtopfen will, muss ich mich mit vielen verschiedenen Lobbys auseinander setzen. Das funktioniert nur, wenn Sie eine Krise nutzen. Das finde ich auch nicht beschämend. Die Krise teilt mir ja auch etwas mit: „Hier wurde in der Vergangenheit zu wenig getan.“

Was halten Sie von einer „Ampel“-Koalition?

Ich sehe überhaupt keine Ampel. Ich will auch keine. Ich will Rot-Grün. Ich halte das auch für eine Phantomdebatte. Es gibt nur Rot-Grün, Rot-Gelb oder die große Koalition. Die FDP hat doch einen kruden Leistungsbegriff. Offensichtlich kann Leistung bei den Liberalen immer nur im teuersten Jackett daherkommen. Aber auch in einfachen Berufen wird Großartiges geleistet.

In manchen Themen sind die Grünen von der FDP nicht so weit entfernt …

Unsere Begriffe von Modernisierung sind völlig unterschiedlich. Nehmen Sie das Beispiel der grünen Gentechnik. Die FDP sagt immer, jede neue Technik muss man nutzen, da sei ein Entwicklungspotenzial. Aber Fortschritt ist doch kein Selbstzweck. Eines ist inzwischen klar: Die Theorie, dass Gentechnik notwendig sei zur Lösung des Hungerproblems, ist Unsinn.

Zurzeit läuft wieder die Debatte, dass die grüne Gentechnik grundsätzlich von Übel ist. Tatsächlich ist sie immer weiter auf dem Vormarsch …

Wir können nicht endlos eine Ja-Nein-Debatte führen, angesichts einer weltweiten Anbaufläche für GMO-Pflanzen von derzeit 50 Millionen Hektar. Der Anbau findet einfach schon statt. Nun kommt es aktuell darauf an, dass die Kennzeichnung kommt. Und zwar mit niedrigen Werten für den erlaubten Prozentsatz an gentechnisch veränderten Bestandteilen wie nur irgend möglich. Es muss für Konsumenten erkennbar sein: Ist was drin oder nicht? Wir arbeiten daran, in der EU entsprechende Mehrheiten zustande zu bekommen. Bisher schleicht sich das doch alles unterm Teppich durch, auch Haftungs- und Abstandsregelungen fehlen noch. Wenn wir es nicht schnell regeln, werden gentechnisch veränderte Bestandteile in ein paar Jahren im Essen von Mensch und Tier überall drin sein. Ich will aber Wahlfreiheit für Verbraucher und Landwirte sichern. Und das geht nur, wenn jetzt möglichst schnell klare Regeln festgelegt werden. Das gilt explizit auch für Saatgut.

Dass Rot-Grün in den Umfragen vergleichweise gut dasteht, liegt auch am Nein zum möglichen Krieg gegen den Irak. Kann die Bundesregierung ihre strikte Ablehnung durchhalten, wenn Deutschland ab Januar im Sicherheitsrat der UNO sitzt?

(Pause) Ich denke, ja. Man hat seit Monaten keine neue Daten bezüglich des Irak. Man hat kein Konzept, und ich sehe auch kein Konzept. Man steht doch sofort vor der Frage, welchen Sprengsatz wir da im Nahen Osten legen würden? Wenn bei dieser Ausgangslage ein Angriff gegen den Irak stattfände – was passiert denn da in den arabischen Ländern? Nehmen Sie zum Beispiel die Jugend in den palästinensischen Gebieten oder die Stabilität in Pakistan.

Was hat sich denn der grüne Teil einer möglichen rot-grünen Regierung für nach der Wahl vorgenommen?

Den Energiebereich weiter auszubauen. Nicht nur weil dort in einer Legislaturperiode eine Verdoppelung der Zahl der Arbeitsplätze möglich ist. Es sind auch zukünftige Einkommensquellen für die Landwirtschaft drin, wie etwa eine höhere Einspeisevergütung für Strom aus Biomasse.

Weitere Punkte?

Die Kinderfrage, von der Ganztagsbetreuung bis zum gesunden Essen. Die Industrie kreiert immer neue „Kinderlebensmittel“, die in Wahrheit Süßigkeiten sind. Wir haben eine rapide Zunahme von Kinder-Übergewicht samt den Folgen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes schon bei Jugendlichen. Das geht nicht, weil wir verpflichtet sind, allen Kindern eine ordentliche Zukunft zu ermöglichen. Das geht auch nicht, weil ich gar nicht wüsste, wer diese Krankenhauskosten bezahlen soll. Und natürlich werde ich die Agrarwende weiter vorantreiben, genauso wie die Verbesserung des Verbraucherschutzes bei Lebensmitteln, Vertragsabschlüssen, Dienstleistungen … eben ein langes Vierjahresprogramm.