Taten nicht beschönigt

Ein Jahr und zehn Monate Haft – der Prozess gegen einen Arzt wegen sexuellen Missbrauchs an zwei ihm anvertrauten Jungen beendete gestern juristisch einen Skandal in Farge. Menschlich geht das Drama weiter

„Er hat als Staatsbüger, als Mensch und als Arzt versagt.“ In seinem Schlussplädoyer gestern vor dem Amtsgericht Blumenthal beschönigte Verteidiger Eckart Behm die Taten seines Mandanten nicht. Der wegen zweifachen sexuellen Missbrauchs an Kindern angeklagte Farger Arzt Dietmar F. war zuvor selbst schonungslos mit sich umgegangen.

Nach viereinhalb Monaten Untersuchungshaft wolle er reinen Tisch machen, erklärte der 60-Jährige zu Verhandlungsbeginn. Er gestand, sich zwei zwölfjährigen Jungen, die ihm anvertraut waren, sexuell genähert und sie am Penis berührt zu haben. Er habe erkannt, dass er ungeheuren Schaden angerichtet habe – an den Jungen, aber auch an seiner Familie und seinen PatientInnen, deren Vertrauen er enttäuscht habe, sagte er sichtbar bewegt. „Ich werde Kindern künftig aus dem Weg gehen.“ Das Urteil über ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe nahm er an. Auch werde er eine Therapie machen.

Mit seinem Geständnis und einer darüber hinausgehenden „Lebensbeichte“, so der Staatsanwalt, hatte der Angeklagte ein schnelles Verfahren ermöglicht – und seine Haftentlassung. Denn das Schöffengericht setzte die weitere Haft auf Bewährung aus. Es folgte damit der Staatsanwaltschaft. Verteidiger Behm hatte zuvor die Höhe der zu erwartenden Haftstrafe „nicht diskutieren“ wollen, käme der Angeklagte nur auf Bewährung frei. „Dann liegt ja noch ein schwerer Weg vor ihm“, fasste der Anwalt die Zukunftsperspektiven des Arztes zusammen: Dessen Praxis wird liquidiert, über 100.000 Euro Schulden bleiben, ebenso wohl das Berufsverbot durch Senatorin und Ärztekammer. Auch privat müsse der Mann neu anfangen, die Ermittlungen waren durch eine Freundin in Gang gekommen, nicht durch die Opfer oder deren Eltern.

Die mit dem Vorsitzenden Richter Christian Zorn und und zwei SchöffInnen besetzte Kammer habe diese Umstände berücksichtigt, so Zorn bei der Urteilsbegründung. Dann ging er auf Gerüchte im Ort ein, wonach „ein Studierter“ glimpflicher davonkäme. Das Urteil widerlege dies: Jeder Angeklagte ohne Vorstrafe hätte mit einem Jahr Haft auf Bewährung rechnen müssen, so Zorn. Das Gericht sei – mit seinem innerhalb der Kammer strittigen – Urteil darüber deutlich hinausgegangen, wegen der schweren Schuld. Zwar habe der Mann keinen Zwang angewendet, doch habe er als Arzt das besondere Vertrauen der heranwachsenden Patienten und ihrer Eltern genossen. Besonders schlimm sei, dass die Kinder – und das habe der Angeklagte gewusst – sowieso schwierig seien. Umso mehr gefährde die Tat das weitere Leben der Jungen „in einem Maß, das wir nicht kennen“. Dass der Pädophile dadurch seine berufliche Existenz vernichtet habe, sei eine schwer wiegende Folge der Tat, aber: „Das ist leider oft die Folge von Untersuchungshaft.“ Dies treffe junge Leute, Azubis, die Jugendstrafen antreten und nie wieder eine Chance bekämen, vergleichsweise härter als den 60-Jährigen mit Pensionsanspruch.

ede