Ganz überraschend war 9-11 nicht

Vor dem Untersuchungsausschuss des US-Kongresses werden immer mehr Details über das Vorauswissen der US-Geheimdienste vor dem 11. September 2001 über die Bedrohung durch terroristische Anschläge bekannt

BERLIN taz ■ Die US-Sicherheitskräfte haben vor den Terroranschlägen vom 11. September eine Fülle von Informationen über Planungen der Bin-Laden-Organisation gehabt. Sie wurden sämtlich ignoriert, falsch interpretiert oder nicht auf eine Weise zusammengefügt, dass sich daraus ein schlüssiges Bild hätte ergeben können, das womöglich zur Verhinderung der Anschläge hätte führen können.

So interpretierten führende Senatoren und Abgeordnete des US-Kongresses einen vor dem gemeinsamen Untersuchungsausschuss beider Kammern vorgelegten Bericht, der am Mittwoch in einer Anhörung vorgestellt wurde. Die Leiterin der Untersuchung, Eleanor Hill, erinnerte daran, dass CIA-Direktor George Tenet bereits im Anschluss an die Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daresalam der Organisation Bin Ladens „den Krieg erklärt“ habe – nur habe davon nicht einmal innerhalb der CIA jeder gewusst, geschweige denn beim FBI und den anderen Organisationen. Es seien auch keinerlei zusätzliche Mittel für den Kampf gegen al-Qaida zur Verfügung gestellt worden, obwohl sich nach den Aussagen Hills in den folgenden Jahren die Anzeichen für weitere große Anschläge auf US-Einrichtungen häuften.

Selbst in den Monaten Juli und August 2001 gab es eine Reihe damals unbemerkt gebliebener Hinweise: Ein FBI-Agent aus Phoenix wies darauf hin, dass womöglich an US-Flugschulen potenzielle Terroristen das Fliegen von Passagiermaschinen für zukünftige Anschläge erlernten. Zacarias Moussaoui, bislang der einzige mutmaßlich in die Anschläge vom 11. September verwickelte Terrorist, der vor einem US-Gericht steht, wurde wegen Passvergehen festgenommen. Man stellte fest, dass auch er sich um Flugunterricht bemüht hatte, zog daraus jedoch keinerlei Schlüsse. Und die CIA erfuhr, dass sich zwei bereits als mutmaßliche Al-Qaida-Anhänger bekannte Männer in den USA aufhielten. Inzwischen stehen die Namen auf der Liste der 19 Hijacker des 11. September.

Bereits 1998 erhielten die Geheimdienste Warnungen, nach denen eine Gruppe nicht näher identifizierter Araber plante, ein mit Sprengstoff beladenes Flugzeug aus dem Ausland ins World Trade Center zu fliegen. FBI und Luftfahrtbehörde wurden darüber informiert, doch die Luftfahrtbehörde ging davon aus, dass die Gefahr ausgesprochen gering sei und man außerdem ein aus dem Ausland herannahendes Flugzeug mit Kurs auf die Zwillingstürme rechtzeitig würde entdecken können. Das FBI heftete die Warnung zu anderen Bombendrohungen ab.

Im April 2001 warnte eine im Bericht nicht näher benannte „Quelle mit terroristischen Verbindungen“, Bin Laden interessiere sich für Piloten der zivilen Luftfahrt als mögliche Terroristen. Es seien „spektakuläre und traumatische“ Angriffe nach dem Muster des ersten Anschlages auf das World Trade Center 1993 zu erwarten. Die Warnungen wurden nicht beachtet.

Hatte man also wirklich nicht ahnen können, dass Flugzeuge zu fliegenden Bomben umfunktioniert und die USA auf ihrem eigenen Territorium angegriffen würden? Der Bericht Hills sagt klar: Doch, das hätte man wissen können, wenn die verschiedenen Informationssteinchen zusammengefügt worden wären. Ob es aber auch möglich gewesen wäre, die Anschläge zu verhindern, lässt der Bericht offen.

Offen blieb auch die Frage nach der Verantwortlichkeit: Statt konkrete Personen zu benennen, spricht der Bericht stets nur von „höheren Beamten“. Und das Weiße Haus sorgte dafür, dass jede Information darüber, wann der Präsident selbst über mögliche Bedrohungen informiert wurde, weiterhin der Geheimhaltung unterliegt.

BERND PICKERT