Das Wahlergebnis der Zukunft

Wichtige Hinweise für Parteistrategen: Bei der ersten bundesweiten Juniorwahl geben 70.000 SchülerInnen aus ganz Deutschland ihre Stimme ab. Wahllokale schließen heute

BERLIN taz ■ „Bei uns kommen im Moment 100 Stimmen pro Minute rein.“ Sascha Müller hatte gestern keine Zeit für weitreichende Wahlanalysen – er musste Stimmen auszählen. Während die Republik noch gespannt auf die Schließung der Wahllokale am Sonntag wartet, ist Wahlhelfer Sascha schon voll im Einsatz. Der junge Mann gehört zu dem Berliner Verein „Kumulus“, der für ein Novum in der politischen Geschichte der Bundesrepublik gesorgt hat: die ersten bundesweiten Juniorwahlen. 70.000 SchülerInnen geben seit Montag ihre Stimme ab. Die Schülerwahllokale schließen heute Abend.

Was bei der Bundestagswahl der Teenies herauskommt, dürfte für manchen weit blickenden Parteistrategen wichtiger sein als die Wahl am Sonntag. Die Wahlveranstalter und Politikanalytiker von Kumulus können den Parteien nämlich am Montag sagen, welche Voten der Wähler in der Zukunft abgibt. Die 13 bis 19 Jahre alten SchülerInnen sind der Souverän von morgen.

Das Wahlalter ist fast das Einzige, was die große Bundestagswahl von der kleinen Juniorwahl unterscheidet: Die SchülerInnen wählen unter Echtbedingungen: Sie kommen aus ganz Deutschland, ihnen liegen exakt die gleichen Wahlzettel vor, auf denen sie in Wahlkabinen an ihren Schulen die realen Erststimmenkandidaten und Parteien für ihren jeweiligen Wahlkreis ankreuzen können. Und sie haben die politische Entwicklung der letzten Wochen noch intensiver miterlebt als mancher wahlberechtigte Bundesbürger: Die Juniorwahl wird seit Wochen im Gemeinschaftskunde- und Sozialkundeunterricht der 240 teilnehmenden Schulen vorbereitet.

Die Kumulus-Leute, vor allem Studierende und ein paar berufstätige PolitologInnen, haben nicht nur Stimmzettel verschickt. Zu den Wahlunterlagen für die Schulen gehört ein Begleitband zur didaktischen Aufbereitung des demokratischen Akts. Dazu werden, je nach besuchter Schulform und Klassenstufe der SchülerInnen, Lerneinheiten angeboten. „Die Jugendlichen machen nicht einfach ein Kreuzchen – sie nehmen aktiv an der Willensbildung teil und lernen, wie man eine Wahl ganz praktisch im Wahllokal organisiert“, sagt Sascha Müller.

Die OrganisatorInnen mussten mit vielerlei Widrigkeiten kämpfen, ehe ihre Schülerwahl auf Bundesebene Wirklichkeit wurde. Jahrelang musste sich Kumulus von höchster Stelle für die tolle Idee beklatschen lassen – um am Ende am langen Arm der Kultus- und Wahlbürokratie zu verhungern. Inzwischen ist die Reputation von Kumulus erstklassig. Bundespräsident Johannes Rau ist Schirmherr der Juniorwahl, die Bundeszentrale für Politische Bildung und angesehene Stiftungen geben Geld und Know-how, damit die Wahl stattfinden kann. Nur eins fehlt diesmal: eine Begleitforschung, wie es sie bei der ersten echten Juniorwahl gab, die parallel zur Landtagswahl in Baden-Württemberg im Jahr 2001 stattfand. Macht nichts, am Montag werden die Telefone nicht stillstehen – mit denen bei Kumulus die Interpretation der erste Junior-Bundestagswahl eingeholt werden. CHRISTIAN FÜLLER