US-Spione blind und taub

Schon lange vor dem 11. September lagen amerikanischen Geheimdiensten ernste Warnungen vor Terroranschlägen in den USA vor. Ermittlungsgruppe erhebt schwere Vorwürfe gegen FBI

BERLIN taz ■ Massive Eingriffe und Reformen der US-Geheimdienste und Sicherheitsbehörden hat der demokratische Senator Carl Levin nach einer Anhörung im US-Kongress am Mittwoch gefordert. Vor einem gemeinsamen Untersuchungsausschuss beider Kammern des Kongresses hatte zuvor die Leiterin einer Ermittlungsgruppe über das Vorwissen der Geheimdienste zu den Anschlägen des 11. Septembers ihren Bericht abgeliefert: Danach gab es seit mindestens drei Jahren eine derartige Vielzahl von Hinweisen auf geplante Anschläge auch auf dem Gebiet der USA, auf die Benutzung von Flugzeugen und sogar auf das konkrete Anschlagsziel World Trade Center, dass die völlige Überraschung, die die Dienste nach den Anschlägen zeigten, zumindest für Senator Levin völlig unverständlich bleibt. „Das waren keine unglaubwürdigen Quellen. Das waren keine unbestätigten Informationen. Das waren FBI-Agenten, die wollten, dass etwas getan wird. Ihre Hinweise wurden ignoriert“, empörte sich Levin in der Anhörung.

Tatsächlich listete der Bericht der Ermittler noch einmal die vielen verschiedenen Warnungen auf – darunter viele falsche –, die es seit 1998 gegeben hatte, dem Jahr also, in dem CIA-Direktor George Tenet nach den Bombenanschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam den „Krieg gegen Bin Laden“ ausgerufen hatte – was aber weder in seiner eigenen Organisation noch im FBI größere Folgen zeigte.

Und obwohl die Gefahr, dass entführte Flugzeuge zu Bomben umfunktioniert würden, in zahlreichen Warnungen und Hinweisen auftaucht, obwohl sogar Teile dieses Bedrohungsszenarios an die Luftfahrtbehörde weitergegeben wurden, dachte niemand vor dem 11. September 2001 daran, die Anweisungen an das Personal für den Fall der Entführung zu verändern. Alle Stewardessen und Piloten der entführten Maschine handelten offenbar in der festen Überzeugung, es handele sich um eine „normale“ Entführung, bei der die Passagiere als Geiseln behalten würden.

Noch sind die Untersuchungen des Ausschusses nicht abgeschlossen, der Abschlussbericht steht noch aus. Wenn er veröffentlicht ist, werden auch Verantwortlichkeiten benannt werden. Dass dann keine Köpfe rollen, ist schwer vorstellbar. BERND PICKERT

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