„Freizeit ist ein Unwort“

Guillaume Paoli ist ein glücklicher Arbeitsloser. Arbeit ist für ihn ein trauriger Begriff, aber Freizeit mag er auch nicht. Ein Gespräch über Klavierunterricht, Stellenablehnungsgeneratoren und die Auswirkungen der Hartz-Kommission

Interview BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

taz: Was wollten Sie als Kind werden?

Guillaume Paoli: (überlegt) Kapellmeister.

Was ist schief gelaufen?

Ich hatte eine klassische Musikausbildung. Klavier. Das war gruslig und wirklich Arbeit von der Art und Weise des Unterrichts (lacht). Dann habe ich das mit 12 oder 13 Jahren abgebrochen. Da war dieser Traum vorbei.

Wieso ist für Sie Arbeit ein trauriges Wort?

Es ist ein trauriges Wort. Ethymologisch gesehen heißt Arbeit verwaist sein im Altgermanischen. Das französische oder das spanische Wort ist noch trauriger. Und Tripalium bei den Römern war ein Folterinstrument. Ich habe das nicht erfunden! Das Wort hat immer etwas mit Mühsal und Plage zu tun gehabt und wurde erst in der Neuzeit positiv bewertet.

Was heißt Arbeit für Sie?

Es gibt für mich keinen Unterschied zwischen Kochen, Lesen, Schreiben, Spazierengehen. Das sind alles Tätigkeiten, die man halt in seinem Leben tut. Warum sollte ich einige Tätigkeiten als Arbeit begreifen und andere nicht? Die haben alle ihren Sinn. Selbst Mittagsschlaf.

Gab es mal eine Arbeit, die Ihnen Spaß gemacht hat?

Wenn es Spaß macht, ist es keine Arbeit mehr.

Wenn Sie schreiben oder Vorträge über das Recht auf Faulheit halten, ist das keine Arbeit?

Nein. Es kann eine Anstrengung sein. Muse schließt die Anstrengung nicht aus. Darüber kann man stundenlang diskutieren. Jeder hat seine eigene Definition von Arbeit. Das ist für uns, die glücklichen Arbeitslosen, nicht der Punkt. Ich finde es gut, zu sagen, dass das, was ich tue, keine Arbeit ist. Das bringt die Leute zum Nachdenken.

Sind die „glücklichen Arbeitslosen“ eine kleine Splittergruppe, die provozieren will oder, wie der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz sagt, „ein neuer Bund der Kommunisten, deren Ideologie um sich greift wie ein Ölfleck“?

Es gibt keine Gruppe, keinen Verein, keine Organisation. Es ist eine Idee, die wir am Anfang zu dritt in der Öffentlichkeit vertreten haben. Dann wurde sie von anderen Menschen aufgegriffen. Jeder weiß, dass die Vollbeschäftigung nicht mehr kommt. Trotzdem wird sie von allen Parteien immer wieder beschworen. Mit dieser Heuchelei wollen wir aufhören. Man muss damit klarkommen, dass es Leute gibt, die arbeitslos sind. Und dann sollten sie die Möglichkeit haben, aus ihrer arbeitslosen Zeit etwas Positives machen zu können und nicht dem Zwang nach Simulationsmaßnahmen unterliegen, die zu nichts führen. Die Gesellschaft will im Moment noch nicht mit dieser Erkenntnis klarkommen, dass es so ist und bleiben wird.

Also gilt vorerst weiterhin für hunderttausende: arbeitslos gleich unglücklich?

Genau. Man sagt, Arbeitslosigkeit ist an sich ein Problem. Wir sagen, nicht Arbeitslosigkeit ist ein Problem, sondern Geldlosigkeit. Wenn man arbeitslos ist, hat man finanzielle Probleme. Das könnte aber anders sein, wenn eine Grundsicherung da wäre. Und dann sind da noch kulturelle Fragen wie die soziale Isolation oder Zukunftsängste.

Haben Sie auch diese Ängste?

Wenn sich zum Beispiel diese Hartz-Kommission durchsetzt, ist ganz klar, dass ich aus der Arbeitslosenunterstützung rausfliegen werde und andere Finanzierungsmöglichkeiten finden muss. Aber ich habe keine Zukunftsängste. Ich denke einfach nicht dran. Ich lebe in der Gegenwart. Da wird großkotzig über die Vorschläge geredet, aber ich glaube nicht, dass sich grundsätzlich was ändern wird – weil keine Arbeit da ist. Das Problem ist, dass alles mit Zwangsmaßnahmen verbunden wird. Dazu kommt schlecht bezahlte Zeitarbeit. Ich sehe nicht ein, warum ich zum Beispiel in einem Call-Center arbeiten sollte. Das sind angestellte Bettler, die andere Leute telefonisch belästigen. Das Beunruhigende ist, dass es in Richtung amerikanische Zustände geht. Es werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sondern Arbeitslose fliegen aus dem sozialen Netz raus, weil sie nicht bestimmten Kriterien entsprechen.

Seit knapp drei Jahren leben Sie fast ununterbrochen von Arbeitslosenunterstützung. Wie einfach wurde es Ihnen bisher gemacht, Arbeitsangebote vom Arbeitsamt auszuschlagen?

Man kann sich immer arrangieren und simulieren. Man kann immer sagen, ja ich habe hier ein Angebot gehabt. Wir, die glücklichen Arbeitslosen, haben sogar einen Stellenablehnungsgenerator gemacht (lacht). Man muss beim Arbeitsamt ja immer so und so viel Arbeitsbemühungsbeweise bringen, und da haben wir eine Software entwickelt mit 600 Betrieben samt Telefonnummern, Ansprechpartnern und Ablehnungsgründen. Das kann man einfach Enter drücken und dann kommt ein schöner Ablehnungszettel raus, den man gleich zum Arbeitsamt bringen kann, um die Sache zu rationalisieren (lacht).

Gibt es heutzutage mehr glückliche Arbeitslose als 1996, als Sie sich mit anderen zusammentaten?

Das weiß ich nicht. Das Problem ist, dass sie weniger sichtbar geworden sind. Als wir angefangen haben, gab es Arbeitslosenproteste, Arbeitslosendemos, Arbeitslosentreffen. Die sind weniger geworden. Das ist das Drama. Wenn die Vorschläge der Hartz-Kommission durchgesetzt werden sollten, hoffe ich, dass sich die Arbeitslosen wieder mehr bewegen.

Das Vorwort Ihres neuen Buches – „Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche“ – endet mit den Worten „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Es gibt ein Leben nach der Arbeit.“ Worum geht es Ihnen? Um gesellschaftliche Anerkennung mit finanzieller Absicherung oder um eine Revoluti o nierung des Systems?

Beides (lacht). Das eine schließt das andere nicht aus. Aber es ist etwas bescheidener. Wir wollten Fragen stellen, dass die Leute etwas umdenken und diese Heuchelei nicht mehr mitmachen. Das Komische ist, dass wir wenig Widerrede bekommen haben. Wir wollten eine Diskussion provozieren und nicht unglückliche Arbeitslose oder Arbeitende beleidigen, und alle haben verstanden, worum es geht. Es ist erstaunlich, dass diese Vorstellung niemanden mehr schockiert. In den letzten Jahren haben immer mehr Leute wahrgenommen, dass die offizielle Sicht verlogen ist.

Ein Erfolg der „glücklichen Arbeitslosen“?

Oder ein Scheitern der Politik!

Einige Leute werfen Ihnen vor, ein verzweifelter Antimoderner und ultrapessimistischer Technologiegegner zu sein. Ist da was dran?

Es ist ganz klar: Je mehr man arbeiten muss, desto mehr macht man sich abhängig vom Warenkonsum. Aber ich ein Technologiegegner? Ich habe selbst einen Computer und bin kein Maschinenstürmer in dem Sinne. Aber wenn ich Zug fahre und die Abteile sind wie Büros, wo sich alle Leute mit ihren Laptops und Handys beschäftigen und es überall klingelt – diese Arbeitswut, die sich selbst in der Freizeit durchschlägt, die ist das Problem. Es gibt heutzutage keinen Unterschied mehr zwischen Arbeit und Freizeit. Deshalb ist eine Kritik der Arbeit auch eine Kritik der Freizeit. Freizeit ist ein Unwort. Ich benutze das auch nicht für mich. Ich bin nicht für die Ausdehnung der Freizeit. Dann hat man in der Freizeit keine Ruhe mehr.

Wie sieht Ihr Leben als glücklicher Arbeitsloser aus?

Das ist das Schöne der glücklichen Arbeitslosen. Wir sind in den verschiedensten Bereichen präsent: Kunst, Philosophie oder ganz praktische Sachen wie Food-Kooperativen, die wir zwischen arbeitslosen Bauern und arbeitslosen Städtern organisieren. So wird seit einigen Jahren jede Woche Gemüse aus dem Oderbruch nach Berlin geliefert. Es ist eben diese alte marxistische Vorstellung des Kommunismus. Ein bisschen Theorie, ein bisschen Gartenarbeit, ein bisschen Mittagsschlaf (lacht). Das erleben zu können, ist durchaus befriedigend.