Rote Bete nur für Clubmitglieder

Das White Trash ist nicht nur einfach ein neuer Laden auf der Torstraße. Der Gastro-Club mit Frühlingsrollen-Ambiete und bizarrem Dresscode stellt eine ganz eigene Herausforderung in Sachen Ausgehgewohnheiten dar

Schon viel hatten wir gehört vom White Trash, völlig interessant sei der Laden, ein weiteres Highlight an der Torstraße, endlich mal wieder was Neues, also, etwas wirklich Neues. Und man könne dort sogar gut essen, haben die Leute erzählt, die sonst gern ins Kaffee Burger gehen – oder in den Club der polnischen Versager. Für die nämlich ist die Torstraße so etwas wie für die 9 c aus Heilbronn der Ku’damm.

Eigentlich wären wir gerne zu Hause auf dem Sofa sitzen geblieben, während alle anderen draußen Amok laufen und sich in milder Noch-nicht-Herbst-nicht-mehr-Sommer-Nacht um die besten Bürgersteigplätze kloppen. Ein merkwürdiger Regen- und Egoistensommer war das dieses Jahr. Vor allem in der Strandbar und anderen Etablissments dieser Art. („Schließlich hab ich mir diesen Sessel hart erarbeitet. Da bleib ich jetzt sitzen, und sollte ich mal kurz aufstehen müssen, leg ich meine Handtasche und meine Regenjacke darauf ab wie das Handtuch auf die Pool-Liege. Ätsch.“) Jedenfalls hat das White Trash dieses Draußen-Terror-Problem nicht, weil man dort gar nicht an der frischen Luft sitzen kann. Ist sowieso bald zu kalt.

Drinnen sieht alles noch so aus wie früher, als der Club noch kein Club, sondern ein China-Restaurant war, das einen an eine russische Puppe erinnert. Zuerst kommt ein großer Raum, der in einen etwas kleineren übergeht. Dann kommt ein weiteres schmales Zimmer und zum Schluss ein ganz kleines, aber da darf man nur mit Reservierung rein.

Frühlingsrollen-Ambiente überall. Bloß, dass an den Tischen jetzt seltsam angezogene, junge Menschen sitzen, die nicht Deutsch sprechen. Wir waren zwei, drei Stunden dort und haben folgende Sprachen gehört: amerikanisches Englisch, britisches Englisch, Norwegisch oder Dänisch, Niederländisch und Französisch. Am meisten Französisch. Ein paar Französinnen konnten sogar Deutsch, sprachen es aber nicht. Das haben wir so gemerkt: „Ach du liebes bisschen“, zischt mein Begleiter, „guck dir mal diese Französin mit der langen Opa-Unterhose und den weißen Pumps an! Meinst du, das kommt im Herbst auf uns zu?“ In diesem Augenblick warf uns die Pseudofranzösin einen vernichtenden Blick zu. As seen in „Jeune et jolie“! Le dernier cri! Wir kamen uns unsagbar bescheuert vor, weil wir keine Chance haben würden, die Sache wieder gutzumachen. Selbst wenn wir morgen Abend in langen Unterhosen und weißen Pumps ins White Trash gingen! Dann wäre der Dresscode schon ein anderer.

Unser Selbstwertgefühl war gebrochen, worauf ich meistens mit Magenknurren reagiere und mein geschockter Begleiter mit Durst. Eine Viertelstunde später trafen wir uns am Tisch wieder (es hatte sich niemand auf unsere Plätze gesetzt, die anderen am Tisch unterhielten sich angeregt auf Skandinavisch), der Mann mit einem Bier in der Hand, ich mit einem kleinen Salat vom Buffet. „Hast du diese Barfrau mit den Hotpants gesehen“, rief er. „Die hat gaaaanz oben auf dem Oberschenkel eine Tätowierung – süß!“ Ich aß den Salat. Die Musik war im Prinzip eine lange Unterhose aus Vinyl: Wir verstanden sie einfach nicht. Einmal hörten wir Velvet Underground, direkt gefolgt von Bon Jovi. Ich ging noch einmal zum Buffet und holte mehr Salat mit Roten Beten. Wir diskutierten über eingelegte Rote Bete, um nicht aufzufallen. Früher gab es bei uns zu Hause dann und wann Rote Bete mit Spiegelei und Bratkartoffeln, stellten wir fest. Ein vergessenes Gericht, nach dessen Verzehr zum Schluss nicht nur der Teller rosa war. Streng genommen, ein White-Trash-Gericht. Wir aßen weiter Salat, und als wir bezahlen wollten, verstand uns niemand. „Äh, we had a few mixed salads“, sagte mein mutiger Begleiter (britischer Akzent) zu der Hotpants-Frau. Die sah uns verständnislos an. Wir sind dann einfach gegangen.

VEIT WINARSKY

Im White Trash Fast Food gibt es täglich ein wechselndes, asiatisch inspiriertes Gericht, das jedoch nur an Clubmitglieder ausgegeben wird. Clubmitglied kann man nur donnerstags werden. Viel Glück!