„Die gehen da gezielt ran“

Zuerst war es Epo, dann Darbepoetin, jetzt ist es Dynepo – betrugswillige Sportler sind auf der Suche nach neuen Dopingmitteln äußerst rührig. Derweil müssen sich die Dopingjäger ständig auf neue Rahmenbedingungen einstellen

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Prof. Schänzer, laufen Sie und Ihre Kollegen den Dopingbetrügern mal wieder hinterher?

Prof. Wilhelm Schänzer: Grundsätzlich muss man sagen, dass die Dopinganalyse immer eine Anpassung an entsprechende Verhaltensweisen von Sportlern ist, die sich dopen. Wenn diese Dopingpraktiken vom Reglement noch nicht erfasst sind, wenn Sportler also Methoden und Mittel einsetzen, die uns noch gar nicht bekannt sind, dann laufen wir natürlich ganz eindeutig hinterher.

Bei Epo war das ziemlich lange der Fall.

Epo war in der Tat jahrelang ein Problem. Wir wussten zwar, dass damit gedopt wurde, aber die Analytik war nicht ausreichend, um den Sportlern dies hundertprozentig nachweisen zu können. Das ist uns erst bei den Olympischen Spielen in Sydney gelungen.

Und als es so weit war, war der Betrug mit Epo schon wieder out und es wurde mit anderen, neuen Substanzen weitergedopt.

Es ist richtig, dass bei den Winterspielen in Salt Lake City zwei Jahre später eine neue Substanz aufgetaucht ist, das Darbepoetin nämlich, im Handel als Aranesp bekannt. Aber von Darbepoetin wussten wir schon ein Jahr vorher und wir haben auch befürchtet, dass es missbraucht werden könnte. Außerdem konnten wir es relativ schnell für die Kontrolle implementieren. Deshalb wurde ja in Salt Lake City bereits auf Darbepoetin getestet – obwohl es noch relativ neu war. Damit haben wir den ein oder anderen Sportler ganz schön überrascht.

Zum Beispiel den Langläufer Jochen Mühlegg.

Genau. Dem sind wir nicht hinterhergelaufen.

Bei Dynepo, dem neuesten Zauberstoff, scheint das hingegen anders. Das Mittel gehört zwar ebenfalls zur Epo-Familie, nachweisen können Sie es aber noch nicht.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Dynepo kann mit der Analysetechnik, mit der wir Epo oder auch Darbepoetin feststellen, durchaus miterfasst werden.

Aber?

Wir wissen nicht, ob die Methode, die wir einsetzen, ausreicht, um das von außen zugeführte Dynepo eindeutig vom Epo, das der Körper des Menschen produziert, unterscheiden zu können.

Das alte Problem der Dopinganalyse.

Wenn Substanzen verwendet werden, die nicht vom Körper produziert werden, also körperfremd sind, dann ist der Nachweis natürlich viel einfacher und eindeutiger. Die ganzen Stimulanzien und synthetischen Anabolika fallen darunter. Die können wir alle sehr gut und nahezu problemlos nachweisen. Problematisch wird der Nachweis erst, wenn Substanzen zum Einsatz kommen, die auch vom Körper produziert werden, also körpereigene Stoffe sind.

Zum Beispiel?

Klassisches Beispiel hierfür ist das Testosteron. Da wird die Analyse schnell sehr aufwändig, weil wir nicht nur nachweisen müssen, dass es sich bei der gefundenen Substanz um Testosteron handelt, sondern dass dieses auch noch von außen zugeführt und nicht etwa vom Körper selbst produziert wurde. Bei Testosteron können wir das längst, bei Epo, das ja gentechnisch aus den Zellen chinesischer Hamster gewonnen wird, mittlerweile auch.

Bei Dynepo hingegen noch nicht.

Bei Dynepo gibt es das zusätzliche Problem, dass es aus menschlichen Zelllinien produziert wird und nicht, wie etwa Epo, aus Hamsterzellen. Wir können Dynepo mit unseren Messverfahren zwar feststellen, aber derzeit noch nicht sagen, ob die Daten, die wir dabei erhalten, auch ausreichen, um sicher sagen zu können, dass es auch tatsächlich von außen zugeführt und nicht etwa vom Körper selbst produziert wurde. Es gibt zwar Ansätze dafür, dass wir das nachweisen können, aber wir wissen es noch nicht.

Wie lange wissen Sie denn überhaupt schon um die Existenz von Dynepo?

Seit einem halben Jahr. Das Produkt ist ja noch gar nicht auf dem Markt, und Aventis, der Hersteller, bestreitet auch, dass es überhaupt eine Möglichkeit gibt, bereits an das Mittel ranzukommen. Andererseits: Wenn es in der Entwicklung ist, dann besteht sicherlich auch die Möglichkeit, dass es über bestimmte Quellen, die nicht ganz sauber sind, auch an Sportler gegeben werden kann.

Wie kommen Sportler an ein Medikament, das offiziell noch gar nicht auf dem Markt ist?

Das wissen wir nicht. Ähnlich war es ja auch letztes Jahr beim Giro d’Italia. Auch da wurden bei einer Razzia in den Mannschaftshotels zwei Dopingprodukte lokalisiert, die offiziell noch gar nicht auf dem Markt waren. Die hätten da nie auftauchen dürfen.

Das heißt, dass die Sportler oder ihre Hintermänner über Drähte verfügen müssen, die direkt in die Forschungsabteilungen der Pharmahersteller reichen.

Diese Möglichkeit kann man natürlich nicht ausschließen: Dass Sportler, über welche Kanäle auch immer, Zugang zu Produkten haben, die noch in der Entwicklung bzw. in der medizinischen Testphase stecken.

Vielleicht hält sich die Pharmaindustrie ja sogar ein paar Sportler als menschliche Versuchskaninchen, um neue Medikamente kostengünstig direkt am Menschen ausprobieren zu können. In etwa so: Die Sportler werden kostenlos mit noch nicht nachweisbarem Dopingstoff versorgt und erstatten dafür Bericht über eventuelle Nebenwirkungen und gesundheitliche Probleme, die bei der Einnahme der entsprechenden Substanz aufgetreten sind.

Theoretisch wäre das natürlich möglich. Aber in der Praxis haben wir keinen Hinweis darauf, dass so etwas schon passiert ist. Das ist eher Stoff für einen Horrorfilm.

Fakt ist aber, dass mit Dynepo schon Missbrauch betrieben wird, noch ehe das Mittel auf dem Markt ist.

Auch dafür haben wir keine gesicherten Hinweise, wir haben nur Vermutungen.

Es heißt, schon bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City sei der ein oder andere Skilangläufer mit Dynepo unterwegs gewesen. Halten Sie das für möglich?

Ausschließen kann ich nichts. Aber ich habe auch diesbezüglich keine eindeutigen Beweise. Bisher ist das Mittel noch nicht aufgetaucht – sonst würden wir ja über Proben verfügen und könnten uns an die Analyse machen.

So aber sind Sie weiter zur Tatenlosigkeit verdammt. Als Sie bei Dynepo-Hersteller Aventis um eine Probe anfragten, wurde Ihnen diese verweigert, mit dem Hinweis , in den USA laufe noch ein Patentstreit und es verbiete sich deshalb, das Mittel an die Dopingfahndung zu geben. Wann war das?

Das ist schon ein paar Monate her.

Und wenn Ihnen Aventis damals eine Probe zur Verfügung gestellt hätte, könnte Dynepo jetzt vielleicht schon nachweisbar sein, noch bevor es offiziell auf dem Markt ist.

Dann könnte ich sagen, ob Dynepo mit unserer bisherigen Methode eindeutig nachgewiesen werden kann – oder ob das ein Problem ist. Wenn es ein Problem ist, müssen wir ein neues Nachweisverfahren finden, möglicherweise durch die Festsetzung von Grenzwerten indirekter Blutparameter.

Der Internationale Radsportverband UCI hat bereits die These gewagt, Dynepo sei in absehbarer Zeit nicht nachweisbar. Können Sie das bestätigen?

Wenn die Daten, die wir ermitteln, nicht eindeutig sind, kann es länger dauern, weil wir uns dann wohl auf Referenzwerte einigen müssten. Wenn die Differenzierung hingegen eindeutig möglich ist, wovon ich ausgehe, dann ist der Nachweis kein größeres Problem. Das könnten wir heute schon.

Herr Prof. Schänzer, wie wird aus einem einfachen Medikament überhaupt ein Dopingmittel? Wie kommen Sportler auf die Idee, dieses oder jenes Mittel zu schlucken, um ihre Leistung zu steigern?

Die Substanzen werden entsprechend beworben. Bei einem anabolen Steroid wird beispielsweise damit geworben, dass es die Muskelkraft verbessert, zum Beispiel nach einer Operation. Da brauchen Sportler nicht lange nachzudenken, um zu sagen: Wenn es Kranken hilft, Muskeln aufzubauen, dann kann es Sportlern natürlich auch helfen. Im Ausdauerbereich wiederum hat man alles, was mit Blut in Zusammenhang steht, als effektiv gesehen, um damit zu dopen, so wie mit Epo. Wenn man da eins und eins zusammenrechnen kann, ist es ganz einfach zu erkennen, welche Substanzen man zur Leistungssteigerung im Sport verwenden kann.

Ihr Kreischaer Kollege Prof. Müller ist der Meinung: „Sobald es ein neues Mittel gibt, wird es von Sportlern ausprobiert.“ Sehen Sie das auch so?

Es gibt ständig so viele neue Mittel gegen die verschiedensten Krankheitsbilder, die können die Sportler bestimmt nicht alle ausprobieren; die gehen da schon ein bisschen gezielt ran und haben ihre Leute, die medizinisch versiert sind und die sich ganz genau überlegen, was für einen Sportler leistungssteigernd wirken kann und was Sinn macht.

Also gut: Einigen wir uns darauf, dass, wenn schon nicht alles, so doch vieles probiert wird.

Vieles würde ich schon auch sagen. Und da ist bestimmt auch einiges dabei, von dem man sagen würde, dass es eigentlich unverständlich ist.

Welche Risiken gehen die Doping-Betrüger dabei ein, gerade bei Mitteln, die sich noch in der medizinischen Testphase befinden?

Dass die Nebenwirkungen noch nicht vollständig erfasst sind. Zusätzlich verstärkt wird dieses Risiko durch die Tatsache, dass die Sportler sich oft nicht an das empfohlene Dosierungsschema halten, das ja für eine Therapie mit dem entspechenden Mittel entwickelt worden ist, sondern meistens deutlich höhere Dosen zu sich nehmen.

Das klingt nach russischem Roulette.

Das ist es in der Tat immer ein bisschen.