Zwischen Bangen und Hoffen

Zittern, jubeln, zittern, jubeln: Im Kurt-Schumacher Haus wechselbadet die SPD in Prognosen und Hochrechnungen und gewinnt alle sechs Direktmandate

Psst, Schschscht, psssst: Punkt 18 Uhr, das ZDF bringt die erste Prognose. Das Kurt-Schumacher-Haus ist schon lange rappelvoll mit SPD-Anhängern. SPD: 38 Prozent. Die Menge schweigt. CDU: 38 Prozent. Noch immer fehlen die Worte. Doch als die 9 Prozent der Grünen auf dem Bildschirm erscheinen, brechen die Roten in minutenlangen Jubel aus. Sie klatschen, rufen, hüpfen, als wäre die Wahl bereits gewonnen. „Das ist doch nur eine Prognose“, mahnt eine Frau und sagt: „Das ist doch schlimm, drei Prozent weniger als beim letzten Mal. Ich wusste, man kann den Wählern nicht trauen.“ Doch niemand hört ihr zu.

SPD-Chef Olaf Scholz ist erleichtert, „weil wir es wahrscheinlich hinkriegen, dass die Regierung bleibt“. Er hofft, dass das ZDF recht hat. Denn die ARD sieht die SPD hinter CDU/CSU. Als gegen 18.15 Uhr die erste Hochrechnung kommt, reagieren die Sozialdemokraten verhalten, denn danach liegt Rot-Grün zwar hauchdünn vor Schwarz-Gelb, aber das liegt nicht an der SPD, sondern nur an den Grünen.

Aber es gibt auch andere Stimmen. „Ich will ja, dass die Koalition bleibt“, bringt es ein Sozialdemokrat auf den Punkt, aber lieber wäre ihm, die SPD könnte wählen, mit wem sie regieren will. „Nun geht es ja nur mit den Grünen.“ Auf den Denkzettel hätte er gerne verzichtet. Mehr Macht für Fischer, und weniger für Schröder, „das ist schön, aber nicht befriedigend.“ Denn man wisse ja, wie knallhart die Grünen seien. Bei Bier, Wein und Brezeln stellen sich die Sozialdemokraten auf „einen langen Abend des Zitterns ein“, wie es Uwe Grund ausdrückt, SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft. Er ist jedoch optimistisch, dass es am Ende reichen wird.

Mit jeder Hochrechnung wechselt die Stimmung, es bleibt knapp, mal reicht es für Rot-Grün, mal nicht. Hier und da hört man ein „Na dann machen wir es eben mit der PDS, das ist immer noch besser als Stoiber.“

Doch die Gewählten sind da skeptisch: „Schröder hat Nein gesagt“, erinnert Anke Hartnagel, die CDU-Landeschef Dirk Fischer im Kampf um den Wahlkreis Nord noch deutlicher als bei der vergangenen Wahl besiegt hat. Überhaupt liegt es nicht an Hamburgs Sozialdemokraten, wenn es am Ende nicht reichen sollte: In allen sechs Wahlkreisen gehen die Direktmandate wieder an die Kandidaten der SPD. Johannes Kahrs gewinnt den Bezirk Mitte ebenso mit über 50 Prozent wie der ehemalige Bürgermeister sein Wandsbek. „Ortwin, Ortwin, Ortwin“, begeistern sich die Sozialdemokraten, als Runde im Kurt-Schumacher Haus erscheint.

Und wenn die großen Fragen auch gestern Abend noch unbeantwortet sind, freut man sich an den Antworten, die man schon mal hat: „Wenigstens ist der Schill abgestürzt, da bin ich ja schon mal froh“, sagt eine Frau. Es wird noch eine lange Nacht der Wechselbäder.

sandra wilsdorf