Nur Klaus schaut raus

Deichbrüche, Zugunfälle, Autobomben – gleich sechs Katastrophen spielten am Samstag in Bremen. Gottlob nur zur Probe. Technische Probleme bei der Kommunikation, aber der Ablauf klappte

„Wenn das in Wirklichkeit passiert wäre, wäre ich morgen kein Senator mehr.“Ausgerechnet der Arzt wäre ‚in echt‘ der Stromspannung zum Opfer gefallen

Rangierbahnhof Gröpelingen, Viertel nach zehn. Ein umgestürzter Waggon liegt auf der Erde. Aufgesprungene Koffer sind verstreut über das ganze Bahngelände. Davor liegen Verletzte, ein alter Mann mit weißem Bart stiert in die Luft und knetet seine Hände. Ein zweiter Wagen steht aufrecht neben den Gleisen. Aus jedem Fenster lehnt eine Traube von Schulkindern: „Sollen wir jetzt losschreien?“

Am Samstag wurde in Bremen für den Katastrophenfall geübt. Das Zugunglück im Bremer Westen war dabei nur einer von sechs so genannten „Schadensfällen“, wie die Unglücksvorfälle im Übungs-Drehbuch genannt werden. Es brachen außerdem zur Probe die Deiche in Farge und bei Hasenbüren, zwei Autobomben sprengten im Wald bei Schwanewede ein vorgebliches Chemie-Labor und links der Weser, in der Nähe des Lankenauer Höft, drohte ein Öl-Unfall die Weser nachhaltig zu verschmutzen. „Der Übungszweck ist voll erfüllt.“ Innensenator Kuno Böse (CDU) zog als oberster Katastrophenschutzleiter am Ende eines ereignisreichen Tages eine größtenteils positive Bilanz der Übung „Starke Hanseaten“, bei der rund 1.200 Helfer aus vier Bundesländern beteiligt waren. „Man probt, um etwas über die Stärken und die Schwächen herauszubekommen.“

Größtes Problem des Tages: die technische Seite der Kommunikation. Schon morgens um halb neun fiel die Stromversorgung in der eigens von der Brekom eingerichteten Funkmeldezentrale aus. „Der Kopf der Übung hatte keine Augen und Ohren mehr“, so fasst der Leiter der Bremer Feuerwehr, Karl-Heinz Knorr, den Ernst der Lage zusammen. Und Innensenator Böse ist sicher: „Wenn das in Wirklichkeit passiert wäre, dann wäre ich morgen kein Senator mehr.“

Ein Kommunikations-Netz wie das gestern aufgebaute wird bei der Feuerwehr einmal im Monat ausprobiert. Bisher sei es nicht zu Problemen gekommen, so Knorr. Böse forderte auf der anschließenden Pressekonferenz die Einführung des Digitalfunks für die Einsatzkräfte. Damit sei aber auch bei gutem Willen nicht vor 2006 zu rechnen.

Aufgrund der technischen Probleme konnte die in Gröpelingen bereitstehende Berliner Feuerwehr, die an der Übung ebenfalls teilnahm, erst spät zum Einsatzort am Rangierbahnhof gerufen werden. Dort war schon gut zehn Minuten nach dem ersten Alarm – die dem Zuschauer allerdings quälend vorkamen – die Hölle los. Feuerwehrleute sperrten die Strecke ab, ein Oberleitungskabel war gerissen und setzte den feuchten Boden unter Hochspannung, Ärzte versorgten die Verletzten in eilends aufgestellten Zelten, Polizisten suchten im nahegelegenen Parzellengebiet nach unter Schock stehenden Opfern, die ihrem Impuls, wegzulaufen, gefolgt waren.

Die fachmännischen Beobachter waren‘s zufrieden. Während der Laie sich wunderte, warum noch Verletzte unversorgt am Boden liegen, während Helfer scheinbar cool am Absperrband stehen, erklärte Oberbrandmeister Stefan Janssen: „Ich muss zuerst in Ruhe die Szene sichten. Was ich in der Erkundung nicht sehe, kann ich im Lauf der Rettungsaktion nicht mehr aufholen.“ Die Gefährdung durch die herabhängende Oberleitung gehört dazu. Ausgerechnet der leitende Arzt wäre ‚in echt‘ womöglich der Stromspannung zum Opfer gefallen.

Die vom Oldenburger Roten Kreuz geschminkten Opfer spielten ihre Rolle unterdessen so glaubwürdig, dass sowohl Helfer als auch der ausnahmsweise bei einer solchen Übung zugelassene Journalisten-Tross eine Ahnung von der katastrophalen Wirklichkeit bekamen.

Mit bereits etwas geschulteren Blicken wurde dann der Schadensfall bei Schwanewede begutachtet. Pyrotechniker ließen die Motorhauben zweier Autos rund dreißig Meter in die Luft fliegen. Zwei Häuser, die normalerweise bei Bundeswehrmanövern genutzt werden, brannten. Die Freiwillige Feuerwehr aus Neunkirchen löschte, was das Zeug hielt – zum größten Teil ohne Schutzmasken. „Das ist natürlich etwas, was hinterher besprochen werden muss“, so Feuerwehrleiter Knorr. „Aber Sie stoßen immer an Grenzen. Überall bestausgebildete Berufsfeuerwehren kann niemand bezahlen.“

Korrekt war indes die Entscheidung der Freiwilligen, die aus einem der Häuser im obersten Fenster hängende Puppe nicht zu retten. „Das ist Klaus“, scherzte der Senator „alle gucken auf das brennende Haus, nur Klaus, der schaut raus.“

Das Gebäude galt laut Übungsplan als eines, in dem radioaktive Stoffe verarbeitet werden. Die Feuerwehrleute hätten Klaus also erst, nachdem die Messautos das Schadstoffgemisch genau analysiert haben, bergen dürfen.

Elke Heyduck