„Hauptsache, kein Bazi“

Während auf dem Domshof Plakate Passanten anschreien, stößt Henning Scherf beim lächelnden Urnengang den Kopf am Lampenschirm

Am Samstag ist die Welt der Wahlkämpfer noch in Ordnung. Da stehen sie alle, adrett aufgereiht in der Bremer Innenstadt, parat zum werbenden Gespräch mit dem Souverän – der nicht selten in Gestalt angetrunkener Werder-Fans auftritt. Auf dem Hanseatenhof präsentieren sich CDU und FDP: Der Bürgerschaftsabgeordnete Werner Steinberg mit einer drolligen Comic-Krawatte, Claus Jäger im Trenchcoat neben dem gelben 18-Prozent-Bus seiner Partei. Am Ansgarikirchhof werfen SPD und Grüne ihre „Give-aways“ unters Volk: Volker Kröning rote Rosen, Klaus Möhle alternatives Brausepulver und Kondome.

Am Sonntag, um acht Uhr morgens, haben die Politiker ihre Schuldigkeit getan, sie sind aus dem Stadtbild verschwunden. Auf dem leer gefegten Domshof starren verlassene SPD-Plakate die wenigen Passanten an und schreien stumm: „Schröder wählen“.

Marius Fangnang würde exakt das machen, wenn er denn in Deutschland wählen dürfte. Der junge Mann, der vor einem Jahr aus Kamerun nach Bremen kam und Produktionstechnik studiert, liefert die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ aus. Er bedauert es, nicht mitwählen zu dürfen. „Ich wäre für Schröder“, sagt er, „wegen der Sprache, der spricht gut und deutlich“. Stoiber spreche „zu hart“.

Schröder oder der andere

Die beiden Frauen, die bei Stockhinger in der Nähe des Markts die „Guten vom Rost“ verkaufen, versprechen, nach der Arbeit ganz sicher wählen zu gehen. Andererseits, mosern sie, sei es doch egal, ob sie „den Schröder oder den anderen da“ wählten. Die Karre sei doch sowieso verfahren.

In der Bürgermeister-Smidt-Schule an der Contrescarpe wird zu diesem Zeitpunkt bereits gewählt. Auf Briefumschläge für die Stimmzettel hat man in diesem Jahr erstmals verzichtet. Das spart den Wahlhelfern Zeit, und hygienischer ist es auch: „Einige haben die Umschläge immer abgeleckt wie blöde“, erinnert sich Hochschullehrerin Renate Meyer-Braun, Beisitzerin im Wahlvorstand. Gegen Abend wird ihr Wahlvorsteher Peter Fricke das „Erfrischungsgeld“ auszahlen, 30 Euro für den ganzen Tag.

Scherf mal ganz in Grün

Punkt zehn Uhr in der Hoppenbank, nahe der Rembertistraße: Bremens erster Bürger Henning Scherf schreitet mit seiner Gattin zum Urnengang ins Seniorenstift. Ausgerechnet am Eingang zu seinem Wahllokal hängt ein Sinnspruch, der auch als CDU-Plakat gegen Rot-Grün durchgehen könnte: „Eine Dummheit sollte man nie zweimal machen, die Auswahl ist ja groß genug.“ Henning Scherf übersieht den Spruch. Er muss lächeln, die Fotografen sind da. Das Lächeln fällt so früh am Tag noch etwas gequält aus. „Farbenmäßig“ stimme seine Kleidung ja, scherzt Scherf, und äugt skeptisch auf sein grünliches Sakko. Sodann geht er alert in Richtung Wahlkabine, doch unterwegs stößt der Zwei-Meter-Mann seinen Kopf unglücklich an einem Lampenschirm. Henning Scherf lächelt noch gequälter in die Objektive.

Während der Politiker zum Chorsingen weitereilt, halten sich in der Neustadt schon vier stattliche Herren an ihrem Morgenbier fest: Einer hat ein Piratentuch auf dem Kopf, zweien fehlt ein Schneidezahn. „Logo“ hätten sie schon gewählt, versichern drei, der vierte habe keinen gültigen Personalausweis. „Logo“ sei übrigens auch, wie sie gewählt hätten: „Hauptsache, kein Bazi“. Markus Jox