Lachen, Leiden

Buddha sei mit uns und sprich: Der amerikanische Schriftsteller Richard Ford trug im Tränenpalast neue Erzählungen vor

von TOBIAS HÜLSWITT

Als Erstes bedankt sich Richard Ford, der Pulitzerpreisträger, beim Veranstalter für die Einladung und bei seinem deutschen Verlag dafür, auf Deutsch erscheinen zu dürfen. Ganz besonders aber dankt er seinem Übersetzer: „Der Übersetzer hat es immer schwer: Wenn er seinen Job schlecht macht, bezieht er Prügel. Und wenn er ihn gut macht, geht das Lob an den Autor.“

Richard Ford ist groß und feingliedrig, die halblangen Haare grau wie seine Augen, die Scheinwerfer der Bühne im Tränenpalast reflektieren auf seiner riesigen Stirn. Mit den ersten freundlichen Sätze verbreitet er etwas Beruhigendes und das Gefühl, unbedingt am richtigen Ort zu sein. Er beginnt mit der Short Story „Reunion“ aus seinem zuletzt erschienen Erzählungsband „A Multitude Of Sins“. Ein Buch, das mit unglaublicher Intensität von all den grotesken Versuchen der Menschen erzählt, mit ihren Begierden, ihren Illusionen, ihrer Reue und ihren vertrackten Arrangements mit den kulturellen Kodierungen der Sexualität zurechtzukommen.

Richard Ford zeichnet kein Bild verzweifelter oder verlogener oder lächerlicher Menschen, seine Figuren bleiben immer vielschichtig, letztlich nicht analysierbar und wahr. Er schwingt sich nicht zu ihrem Richter auf, und auch den Zuhörern fiele das schwer, denn sie spüren, ob sie wollen oder nicht, die Verwirrungen dieser Figuren sind ihre eigenen. Und es passiert etwas, was man eher in der Lehrstunde eines buddhistischen Meisters als auf der Lesung eines amerikanischen Autors erwartet: Jeder Einzelne im Raum hat das Gefühl, der Meister habe seine Seele erkannt und spreche nun, wenn nicht einzig und allein, so doch im ganz Besonderen zu ihm.

„Reunion“ erzählt die zufällige Wiederbegegnung des Erzählers mit Mack Bolger, einem ehemaligen Football-Stipendiaten, mit dessen Frau er einmal nackt im Bett lag, während sie mit Mack Bolger telefonierte, und es ist fast zu schmerzhaft und zu intensiv, wie Ford kein Detail dieser Wiederbegegnung auslässt, sie alle ausspricht. Deshalb nimmt das Publikum auch jede Gelegenheit wahr, an Stellen zu lachen, deren Komik beim stillen Lesen gar nicht zu merken war: um Distanz zu der Wahrheit des Erzählten zu schaffen. Und Ford sieht aus, als schmunzle er selber die meiste Zeit. Erstaunlicherweise kündigt er die zweite Geschichte des Abends, „Abyss“, sogar als eine „comic story“ an, obwohl sie noch bedrückender (und großartiger) ist als „Reunion“. „Abyss“ erzählt, den Regeln einer Novelle folgend, einen Seitensprung mit tragischem Ende am Grand Canyon.

Tatsächlich wird im Publikum kaum noch gelacht, während Hanns Zischler einen Ausschnitt aus „Abyss“ in der deutschen Übersetzung liest. Eine Frau vor mir isst Haribo-Krokodile, nickt, wenn ihr etwas bekannt vorkommt, und schüttelt den Kopf, wenn es nicht mehr zu fassen ist, wie die Figuren sich immer tiefer in die unerträglichsten Situationen bringen.

Richard Ford ist ein guter Vorleser, und man kann die Stille und Gebanntheit, die während seines Vortrags herrschten, nicht mehr richtig vergessen. Aber als Hanns Zischler liest, ist es wie Kino vor unseren Augen. Man mag ja viele Ressentiments gegen Lesungen haben. Meistens sind sie auch berechtigt. Aber an diesem Abend wurde großes Können auf so schlichte und doch so beeindruckende Weise vorgetragen, dass ich den Artikel am liebsten mit einem Dankeschön schließen würde.