Kraftdreikampf plus Marcelinho

Hertha BSC besiegt den Hamburger Sportverein im besten Saisonspiel mit 2:0. Doch über die notwendigsten fußballerischen Grundlagen kommt die Elf selten hinaus. Wenigstens die Fans sind zufrieden. Die „Stevens raus!“-Rufe sind verstummt

von MARKUS VÖLKER

Um ganz sicher zu gehen, hatten die Hertha-Ultras in der Ostkurve ihre Besitzansprüche an den Verein auf ein Spruchband gepinselt. „Unser Verein seit 1892“, stand auf dem Laken, die sie an die Bande gepinnt hatten. Es hieß so viel wie: „Und du, Huub, der du von den verfeindeten Schalkern über uns gekommen bist und uns nur einen Saisonsieg in fünf Spielen geschenkt hast – du bist viel zu kurz bei Hertha, um einer von uns zu sein, und wir, die echten Herthaner, werden dich weiterhin verdammt gut im Auge behalten.“

Nach dem Spiel gegen den Hamburger Sportverein konnten die Wortführer der blauweißen Anhängerschaft ihr Spruchband getrost einrollen und Trainer Huub Stevens treuhänderisch wieder ein Stückchen mehr von „ihrem“ Klub überlassen. Der 2:0-Sieg über den HSV sorgte für einigermaßen wohlwollende Stimmung unter den Ultras. Das Stadionheft, in dem sich diesmal Manager Dieter Hoeneß im Editorial zu Wort meldete, bat nach den „Stevens raus!“-Rufen des letzten Heimspiels um Unterstützung. „Die Identifikation ist für die Mannschaft, den Trainer und den gesamten Verein wichtig, um den erfolgreichen Weg fortsetzen zu können“, hatte Hoeneß diktiert.

Die leicht aufzubringende Fanseele ist aber nicht mit solchen Ermahnungen, sondern wie eh und je mit ansehnlichem Fußball zu befrieden. Hertha BSC lieferte am Samstagnachmittag vor 38.200 Zuschauern im Olympiastadion zumindest eine Anzahlung auf das Versprechen, attraktiven Fußball bieten zu wollen, den sie im Ligapokal schon einmal – freilich unter gänzlich anderen Wettbewerbsbedingungen – zelebriert hatten.

Hatte in den ersten Saisonspielen bis auf die Platzanweisung jedes einzelnen Spielers auf dem Spielfeld relativ wenig gestimmt, so fand Hertha von Spiel zu Spiel, wie zuletzt im Uefa-Pokal gegen Aberdeen, wenigstens wieder zu den drei Grunddisziplinen des Fußballs – Lauf, Grätsche und Maloche. Gegen den HSV versuchten die Herthaner die entscheidenden Disziplinen vier (Kurzpassspiel) und fünf (Virtuosität) anzufügen. Ansätze spielerischer Leichtigkeit kamen zu Tage, flüssige Mittelfeldkombinationen und Freude am leichtfüßigen Zuspiel. Allerdings schaffte es Hertha nur eine Viertelstunde zu Beginn jeder Halbzeit, fünfkämpferisch zu beeindrucken, dann regredierte die Elf wieder auf das Ausgangsniveau des fußballerischen Triathlons.

Allein der Brasilianer Marcelinho stemmte sich gegen den Rückfall und forderte, vollkommen in der Rolle des Spielführers, die Bälle auf dem ganzen Feld, vorne, hinten, es „marcelinhote“ allerorten, und natürlich war es der Mann mit dem wasserstoffgebleichten Haar, der die Blauweißen in Führung brachte. „Ein Freistoß schön über die Mauer gezirkelt“, erklärte Gästetrainer Kurt Jara das Geschehen in der 50. Minute, „das kann bei Marcelinho immer passieren.“ Den Freistoß schlug Thorben Marx heraus, mit einem beherzten Solo aus der Verteidigung. Endlich hätten sich die Defensivkräfte nach vorne gewagt, sagte Hoeneß nach dem Spiel, endlich seien sie nicht wie angewurzelt auf ihren zugewiesenen Positionen verharrt. Ausdrücklich lobte er Marx: „Das spricht für seinen Charakter, nicht nur den Gegner schachmatt zu setzen, sondern auch nach vorn Impulse.“

Stevens fand trotz der guten Ansätze („viel Pressing und über die Außenbahnen gespielt“) keinen Grund, mit seiner Mannschaft rundum zufrieden zu sein. „Das war nicht so, dass ich sage, das war super, das noch nicht.“ Der „Endpass“, legte sich Stevens fest, habe gefehlt, also das Fitzelchen Konzentration, das i-Pünktchen Genauigkeit. Und: Noch immer stehen eine Reihe von Namen auf der Verletztenliste – von Beinlich über Simunic bis Alves. Dazu gekommen ist Verteidiger Sverrisson, der sich am Oberschenkel verletzte.

Das Spiel entschieden hat dann der Belgier Bart Goor, 160 Sekunden nach dem 1:0. Kurz darauf verließ der Hamburger Michael Baur mit Gelb-Rot das Feld. Von da an war nur noch „Schadensbegrenzung“ für den HSV drin (Jara), „sonst wäre uns das Gleiche passiert wie in der vergangenen Saison“. Damals gewann Hertha mit 6:0. So weit sollte es diesmal nicht kommen, wenngleich bei einem solchen Resultat die Hertha-Ultras „ihren“ Verein wohl mit wehenden Fahnen Huub Stevens übereignet hätten.