Der bittere Geschmack …

… der Wahrheit und der süße Duft der Lüge: Hansa Rostock verspielt mit dem 0:1 gegen Borussia Dortmund die Tabellenführung, ist sich aber wie Gerhard Schröder keiner Schuld bewusst

„Konter sind eine Wechselwirkung, wenn man auf den Ausgleich drängt“

aus Rostock DIRK BÖTTCHER

Vielleicht fiel sie in Rostock, die letzte Lüge des Wahlkampfes. Einen Tag vor dem großen Urnengang besuchte der Titelverteidiger im Kanzleramt, Gerhard Schröder, die Ostseeküste und heimste seinen finalen Beifall mit dem Hinweis ein: „Dann bis nachher, beim Fußball.“

Zuvor hatten er und seine Parteifreunde auf dem Rücken des so erfolgreich gestarteten FC Hansa die Lage im Osten eifrig aufpoliert. Im allgemeinen Frohsinn sagte Manfred Stolpe in Richtung des ausgewiesenen Borussia-Fans Schröder: „Also ich schlage vor, sie verlieren heute gegen Rostock und gewinnen morgen dafür die Wahl.“ Da lachte der Kanzler und die Leute klatschten. Bis nachher dann, beim Fußball.

Dort versammelten sich später fast 29.000 im Ostseestadion, um den Auftritt des Titelverteidigers der Bundesliga beim derzeitigen Tabellenzweiten zu sehen. Nur der Kanzler blieb seiner Verabredung fern. Nach Auskunft der Hansa-Pressestelle hatte er sein Kommen schon am Vortag abgesagt.

Doch auch ohne den Kanzler ist der Rostocker Fußball momentan in aller Munde. Kaum eine Zeitung, die am Wochenende nicht versuchte, Hansas Erfolgsgeheimnis zu lüften. Selten waren die Brötchen im Presseraum so schnell vergriffen wie diesmal.

Das Interesse war immens, und es hätte der Tag der Norddeutschen werden können. Er wäre es vielleicht auch geworden, hätte der Rostocker Salou 26 Sekunden nach Anpfiff den Ball, nur einen Meter vor dem Tor stehend, an Borussia-Keeper Jens Lehmann vorbeimogeln können. Aber Lehmann hielt und 12 Minuten später entschied Jan Koller mit seinem Treffer zum 0:1 bereits das Spiel zugunsten des Favoriten.

Wie schon gegen Bayer Leverkusen, so reichte es auch gegen Dortmund nicht. Rostock tut sich schwer mit den Großen der Liga. Trotzdem war Trainer Armin Veh mit dem Spiel seines Teams zufrieden: „Heute ärgert mich nur das Ergebnis, nicht wie gegen Leverkusen, das Spiel.“ Sein Gegenüber, Matthias Sammer, zeigte sich erleichtert nach dem zweiten Sieg seiner Mannschaft in dieser Saison und war sich in weiser Voraussicht ziemlich sicher: „Der Druck bleibt, wir können uns keine Niederlage mehr erlauben.“

Kurz vor dem Schlusspfiff kamen er und Veh sich bedenklich nahe, wobei wohl einige unschöne Worte fielen. „Wenn man unzufrieden ist, wirft man sich halt so Sachen an den Kopf“, sagte Sammer später über die Situation, zu der Veh lieber nichts sagen wollte. Sogar Schiedsrichter Sippel erkundigte sich nach dem Spiel bei Sammer über „den Nebenkriegsschauplatz“.

„Ja, der Veh war nicht so zufrieden mit euch“, sagte Matthias Sammer. „Da habe ich ihm gesagt …“, setzte er zu einer Erklärung an, die ihm dann doch im Halse stecken blieb. Er hob hilflos die Arme und es reichte nur noch zu einem „Na ja“. Na ja, sagte auch Schiedsrichter Sippel, lächelte und verschwand.

Während des Spiels fehlten auch den Rostockern oft die Worte, ob der Entscheidungen des eindeutig nicht Unparteiischen. Zumindest von dieser Seite hatte Borussia Dortmund nichts zu befürchten. Dass René Rydlewicz dennoch von einer „nicht notwendigen Niederlage“ und Christoph Metzelder von einem „Zittersieg, den wir jetzt brauchten“, sprach, lag wohl daran, dass Rostock zumindest sechzig Minuten lang die klar bessere Mannschaft war.

Chancen gab es genug, doch es fehlte die letzte Konzentration vor dem Tor. Zum Ende hin hätte freilich auch der Dortmunder Sieg durch die aufgelöste Defensivabteilung der Rostocker höher ausfallen können. Oder wie es Rostocks Thomas Meggle ausformulierte: „Offen zu sein für Konter ist prinzipiell eine Wechselwirkung, wenn man auf den Ausgleich drängt.“

Der Spielgestalter Meggle zeigte sich in seinen Wortfindungen in guter Form. So meinte er noch, dass „eine Mannschaft prinzipiell in der Lage sein muss, zu Hause zu gewinnen.“ Auf dem Platz glänzte der in der zweiten Halbzeit Eingewechselte hingegen kaum. Auch wenn er seine eigene Leistung „als prinzipiell unwichtig“ betrachtete, wird er nach diesem Spiel weiterhin nicht erste Wahl sein.

Armin Veh war sich nämlich prinzipiell sicher, als er sagte: „Man hat gesehen, dass er noch keine Alternative von Anbeginn ist.“ So endete der Tag, der mit einer Lüge begann, mit einer bitteren Wahrheit.

FC Hansa Rostock: Schober - Wimmer, Jakobsson, Kientz, Maul - Rydlewicz, Aduobe, Persson, Wibran (65. Meggle) - Salou (66. Arvidsson), Prica Borussia Dortmund: Lehmann - Fernandez (46. Evanilson), Madouni, Metzelder, Dede - Reuter, Frings, Kehl, Reina (67. Wörns) - Koller (88. Herrlich), Ewerthon Zuschauer: 29.000Tore: 0:1 Koller (12.)