Angriffspläne schon in Bushs Schublade

US-Militärs legen dem Präsidenten Planungen für einen Irakkrieg vor. Neue US-Doktrin erlaubt Präventivkriege

WASHINGTON taz ■ Das Pentagon hat US-Präsident George W. Bush offenbar bereits detaillierte Pläne für einen Angriff auf den Irak vorgelegt. Seit Anfang September liege Bush ein geheimes Papier vor, das verschiedene militärische Optionen im Falle eines Irakkrieges beschreibt, berichtet die New York Times. Hochrangige Militärs hätten dies bestätigt. Thommy Franks, Oberbefehlshaber des für den Nahen und Mittleren Osten zuständigen US-Zentralkommandos, habe die Unterlagen dem US-Präsidenten übergeben. Eine endgültige Entscheidung für einen Krieg habe Bush nach Angaben des Weißen Hauses aber noch nicht getroffen.

In den Planspielen der Generäle würde der Irak zuerst aus der Luft mit B-2-Bombern angegriffen. Dabei sollten vor allem wichtige Kommandozentralen und Luftabwehrstellungen zerstört werden. Anschließend würden zehntausende Soldaten und Marineinfanteristen gleichzeitig von Kuwait und – so die Hoffnung der Militärs – auch aus anderen Ländern einmarschieren. Das Invasionsszenario enthalte detaillierte Zahlen über Truppenstärke, einzusetzende Flugzeuge und Marineeinheiten. Als günstigste Kriegszeit gelten schon länger die Monate Januar und Februar. Kühle Wüstentemperaturen würden US-Soldaten das Tragen ihrer Schutzausrüstung erträglicher machen. Schließlich fürchtet die USA den Einsatz biologischer oder chemischer Waffen durch den Irak.

US-Truppen, die bereits in der Golfregion stationiert sind, proben derweilen schon mal gemeinsam mit kuwaitischen Streitkräften den Ernstfall. Für die kommenden Wochen sind nach Pentagonangaben mehrere Militärübungen geplant.

Unbeeindruckt von dem Säbelrasseln ließ der irakische Diktator Saddam Hussein am Samstag im staatlichen Rundfunk verkünden, dass Bagdad im Konflikt um Massenvernichtungswaffen nicht auf die Bedingungen einer neuen Resolution des UN-Sicherheitsrates eingehen werde. Die USA und Großbritannien drängen dagegen auch nach dem Einlenken des Irak in der Frage der Waffeninspekteure auf eine neue, ultimative Resolution.

Im Streit zwischen den USA und Russland um eine neue UN-Resolution deutet sich möglicherweise eine Einigung an. US-Außenminister Colin Powell sagte, beide Seiten seien sich einig, dass Bagdad sich den UN-Resolutionen beugen müsse. Der russische Verteidigungsminister, Sergei Iwanow, erklärte nach einem Gespräch mit Präsident Bush, er sei bereit, Beweise für gefährliche Waffenprogramme im Irak zu sichten. Die Haltung Moskaus zu einem Militärschlag gegen den Irak hänge von den Informationen ab, die Washington zur Verfügung stelle.

Das Bemühen der Bush-Regierung, in der Irakfrage zu einer gemeinsamen Haltung des UN-Sicherheitsrates zu gelangen, muss spätestens seit Freitag als unglaubwürdig angesehen werden. An diesem Tag übermittelte das Weiße Haus dem Kongress ein Strategiepapier („National Security Strategy“), in dem das Prinzip der Abschreckung und Eindämmung für überholt erklärt und die Präventivschlag-Doktrin der USA offziell verkündet wird. Diese besagt, dass Amerika seine militärische Überlegenheit behaupten und Gefahren beseitigen müsse, bevor sie US-Territorium erreichen.

In dem 33-seitigen Papier heißt es, dass Amerika beispiellose Stärke und Einfluss besäße, aber eine ebensolche Verantwortung. Die USA würden sich weiterhin um internationale Unterstützung bemühen, seien notfalls jedoch zum alleinigen Handeln bereit. Die Bush-Regierung macht auch klar, dass sie von den meisten Verträgen zur Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen wenig hält und stattdessen auf eine Strategie der „Weiterverbreitungsabwehr“ setzt, zum Beispiel durch zwangsweise Entwaffnung.

Hatten sich die oppositionellen Demokraten in der Irakfrage noch weitgehend hinter Bush gestellt, reagierten sie auf die neue Doktrin mit Sorge und Skepsis. Kritiker fürchten vor allem, dass andere Staaten wie Russland, China oder Indien nun ebenfalls Präventivangriffe zu ihrer offiziellen Politik machen könnten. „Diese aggressive Außenpolitik lässt sich nicht mit der Gründungsvision unserer Republik in Einklang bringen, die ausschließlich das Recht auf Selbstverteidigung festschreibt“, sagt Ivan Eland vom Cato-Institut in Washington. Denkbare Folgen seien Machtmissbrauch und ständige Racheakte von Terrorgruppen. Eine endlose Gewaltspirale von Angriff und Gegenangriff, wie sie bereits im Nahen Osten zu erleben sei, könnte die weltweite Sicherheitsordnung zerstören. MICHAEL STRECK

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