Grüne schießen ins Kraut

Die Grünen sind berauscht von ihrem Erfolg. Besonders der Vorsprung vor den Liberalen wurde auf der Wahlparty bejubelt

von HANNES KOCH

Schon als gestern am späten Nachmittag die ersten Befragungen von Wählern vor den Wahllokalen die Runde machten, standen die Grünen gut da. Mit der Prognose von 18 Uhr und den ersten Hochrechnungen war dann klar: Sollte die rot-grüne Regierung ihre Arbeit fortsetzen können, haben die Grünen mit ihrem Wahlergebnis die Weiterarbeit möglich gemacht. Die SPD hat rund zwei Prozentpunkte Stimmen verloren, die Grünen gut zwei gewonnen.

Die kreisrunde Arena im Tempodrom, dem Konzertsaal im Berliner Stadtteil Kreuzberg, ist überfüllt, auch die Ränge sind voll, die Klimaanlage schafft die schlechte Luft nicht aus dem Raum. Claudia Roth und Fritz Kuhn geben sich ausgelassen. Roth bemüht große Worte: „Wir haben einen klugen, einen fantasievollen Wahlkampf gemacht.“

Jubel bricht los, als Roth verkündet: „Wahrscheinlich hat Christian Ströbele das erste grüne Direktmandat geholt.“ Der linke Abgeordnete, ein scharfer Kritiker der deutschen Beteiligung an Militäreinsätzen, hatte von seiner Partei keinen sicheren Platz auf der Berliner Landesliste bekommen. Dies im Gedächtnis, traut die Sympathisantenschar ihren Ohren kaum, als Joschka Fischer von der Bühne herab eben diesen Ströbele, seinen entschiedenen Gegner „herzlich“ grüßt. Im Saal Begeisterung ohne Ende.

Je mehr die Uhr aber auf sieben zugeht, desto leiser wird es im Veranstaltungsraum. Der Vorsprung von Rot-Grün schmilzt bis auf wenige Bundestagsmandate dahin. Parteichefin Roth stemmt sich gegen das wachsende Unbehagen: „Wir haben unsere Wahlziele erreicht, das letzte schaffen wir auch noch: die Fortsetzung der rot-grünen Regierung.“ Die 2.500 Besucher machen sich mit lauten Pfeifkonzerten Luft, immer dann, wenn Union oder FDP über die Fernsehwände flimmern. Sie selbst haben alles richtig gemacht, das ist die verbreitete Ansicht bei den Grünen im Tempodrom. Rainer Langguth, Sprecher der Bundesgrünen, erzählt, dass er vor sechs Wochen mit FDP-Wirtschaftspolitiker Rainer Brüderle „um sechs gute Flaschen Rotwein gewettet“ habe, „dass wir vorne liegen. Er hat mich ausgelacht.“ Michael Cramer, Verkehrsexperte der Grünen im Berliner Landesparlament, schwärmt noch immer „von dem tollen Wahlkampf“. Tatsächlich hat die Ökopartei keine Fehler gemacht – keine Benzinpreis-Diskussion, keine rhethorischen Querschläger.

Wenn es weiter für Rot-Grün reiche, analysiert Lukas Beckmann, Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, werde die positive Stimmung im Wahlkampf auf die Regierungsarbeit abstrahlen: „Unsere Themen werden mehr Kraft bekommen.“ Darüber, ob der Rückenwind ausreichen würde, über die bisherigen drei Ministerposten einen weiteren grünen Amtsträger im Kabinett zu installieren, wollte sich Beckmann nicht äußern.

Kaum ist die erste Hochrechnung da, überbringt einer seine Glückwünsche, der mit am meisten von einer zweiten rot-grünen Legislaturperiode profitieren würde: Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, selbst ein Grüner. Mit diesem Ergebnis, so hofft Bsirske, wird es „keine Angriffe auf Arbeitnehmerrechte geben“.

Doch Umweltminister Jürgen Trittin bremst ab: „Das wird eine lange Nacht.“ Und Michael Vesper, grüner Minister aus NRW, gibt zu bedenken. „Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass man mit einer Stimme Mehrheit im Bundestag regieren kann.“ Verbraucherministerin Renate Künast kontert: „Das geht, dann wird jeder reingetragen.“