Ein Verlierer, der gewinnen will

Der Wahlabend beschert der SPD eine klare Niederlage, die Hoffnung, die rot-grüne Koalition trotzdem fortsetzen zu können und einen Kanzler Gerhard Schröder, der Konrad Adenauer zitiert: „Mehrheit ist Mehrheit“

BERLIN taz ■ Dieser Wahlabend verlief für die Sozialdemokraten so wie der gesamte Wahlkampf. Er war voller Überraschungen, schüttelte die Partei emotional kräftig durch und brachte ihr lange Zeit keine Gewissheit, was sie am Ende in der Hand halten würde. Nur eines schien noch vor den ersten Hochrechnungen klar zu sein: Es wäre für die SPD besser gewesen, wenn die Bundestagswahl bereits am Sonntag vor einer Woche stattgefunden hätte.

Der große Fachmann für Instinktpolitik, Gerhard Schröder, Bundeskanzler und SPD-Chef, hatte es seiner Partei bis zum letzten Tag vor den Wahlen gesagt: Das Ding ist noch nicht gelaufen. Er hatte im Gefühl, dass das Umfragehoch der Sozialdemokraten nicht bis zum 22. September anhalten würde. Die innerparteiliche Euphorie über seinen geschickten Irakkurs und sein Krisenmanagement während der Flutkatastrophe schlugen sich nicht mehr so nachhaltig in der Stimmung der Bevölkerung nieder. Und schließlich hatte die sozialdemokratische Justizministerin Herta Däubler-Gmelin mit ihrem ungeschickten Vergleich zwischen US-Präsident George W. Bush und Hitler ihrer Partei zwei Tage vor der Wahl ihren persönlich wohl letzten Dienst erwiesen.

Noch mehrere Stunden nach Schließung der Wahllokale schien nur so viel klar: Die SPD hatte ihr Ziel, stärkste Fraktion im Bundestag zu bleiben, verfehlt. Deswegen saß Schröder zu dem Zeitpunkt, an dem sich sein Herausforderer Edmund Stoiber bereits zum Wahlsieger erklärt hatte, immer noch im Kanzleramt und wartete auf mehr Klarheit – und auf eine Erlösung von seiner Ungewissheit, die ihn jetzt über Monate hinweg begleitet hatte.

Als Schröder dann gegen 19.30 Uhr vor seine Anhänger am Willy-Brandt-Haus trat, konnte er immer noch nicht mehr sagen. In einigen Hochrechnungen lag Rot-Grün mit ein oder zwei Stimmen Vorsprung vor Schwarz-Gelb, und das reichte dem Kanzler, um einen seiner Vorgänger, nämlich Konrad Adenauer, mit einem berühmten Satz zu zitieren. „Mehrheit ist Mehrheit“, sagte Schröder also und fügte hinzu, dass SPD und Grüne diese Mehrheit, egal wie knapp sie sei, nutzen würden. Das war ein klares Signal: Schröder würde lieber mit einer Stimme Mehrheit und den Grünen regieren, als den Weg in eine große Koalition anzutreten.

Schon Schröders Generalsekretär Franz Müntefering hatte zuvor versucht, mit dieser Lesart des Wahlergebnisses die Stimmung der SPD aufzuhellen. „Gewonnen hat der, der regieren kann“, sagte Müntefering kurz nach 19 Uhr. Um diese Zeit war jedoch noch lange nicht klar, wer die nächste Regierung stellen würde.

Aber von solchen Feinheiten lässt sich ein Parteigeneral wie Müntefering nicht beeindrucken. Er erklärte wider besseres Wissen, dass die SPD zwei Wahlziele gehabt habe. Schröder sollte Bundeskanzler bleiben und die rot-grüne Koalition fortgesetzt werden. Von der SPD als stärkster Partei sprach Müntefering schon lange nicht mehr.

JENS KÖNIG