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: Grün wirkt, Gelb würgt

Selbst wenn Schwarz-Gelb knapp gewinnen sollte, diese Wahl hat etwas gezeigt: Es gibt keine strukturelle bürgerliche Mehrheit in Deutschland mehr. Viele haben geglaubt, dass 1998 nur ein Sonderfall war, weil damals konservative Wähler tun mussten, was die Union nicht zuwege brachte: Kohl in Rente zu schicken.

 Das ist falsch. Denn diese hauchdünne Wahl ist keine Richtungsentscheidung gegen Rot-Grün. Sie ist kein Votum gegen den Atomausstieg, die Ökosteuer oder Eichels Sparpolitik. Die Grünen, die im Regierungsgeschäft so oft matt wirkten, sind geradezu wundersam erstarkt. Das verdankt sich wohl auch dem drohenden Irakkrieg: Die Deutschen wollen nicht mitmachen – und sehr gerne jemand haben, der Isolation vermeidet und in Washington gehört wird. Das traut man Fischer eher zu als den FDP-Luftikussen.

 Dass die Grünen vor der FDP liegen, ist ein Gewinn für die politische Kultur: ein Zeichen, dass populistische Spaßkanonen nur Umfragen gewinnen, keine Wahl. Die hochfliegenden Pläne der FDP waren das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Möllemanns Tabubruch-Rhetorik hat die FDP offenbar nicht genutzt. Die FDP-Spitze ist nun endlich bereit zu tun, was schon lange fällig war: mit Möllemann zu brechen. Mit antisemitischen Anspielungen ist in Deutschland nichts zu gewinnen – das ist die beste Nachricht dieser Wahl. Klug hat das Wahlvolk auch die Absicht der FDP, sich in einem Akt medialer Selbstsuggestion zur Volkspartei zu ermächtigen, ignoriert. Schließlich hat Parteichef Westerwelle, der sich an die Seite der SPD träumte, tatkräftig mögliche FDP-Wähler irritiert und zur Union getrieben.

 Die Wähler sind mit Rot-Grün eher milde umgegangen. Sie haben Schröders haltloses Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu senken, bestraft – aber nicht so drastisch wie viele SPDler fürchteten. Das Wahlvolk weiß offenbar, dass Regieren in individualisierten, schwer steuerbaren Gesellschaften, ohne Trial-and-error, ohne Fehler nicht geht.

 Die PDS hat selbst Schuld an ihren Verlusten. Gregor Gysis kläglicher Rückzug ist nicht der Grund dafür, sondern das Symptom. Der Erfolg der Postkommunisten fußte offenbar auf der Hysterie, die sie im Westen lange ausgelöst haben. Seit sie nicht mehr als rotes Schreckgespenst behandelt werden, sondern in Berlin sparen müssen, sind ihre Defizite allzu sichtbar: keine Ideen, keine Leute.

 Schön wäre, wenn es, was im Moment nicht klar ist, für Rot-Grün wieder reicht. Schon um sich anzuschauen, ob und wie Rot-Grün es zustande bringt, bei dem Nein zum Irakkrieg zu bleiben. Das Votum dafür hätte Rot-Grün. Mehr noch: die Pflicht. STEFAN REINECKE